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II ZR 42/65 - Bundesgerichtshof (Zivilgericht)
Entscheidungsdatum: 23.02.1967
Aktenzeichen: II ZR 42/65
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Zivilgericht

Leitsätze:

1) Der Haftungsausschluß in Konnossementsbedingungen bezieht sich nicht auf Fälle grober Fahrlässigkeit, mit denen, wie z. B. mit der Fahruntüchtigkeit eines Schiffsführers wegen Alkoholmißbrauchs, eine Partei nicht rechnen kann.

2) Zur Verwertung von Strafakten im Zivilprozeß.

3) Ein Blutalkoholgehalt von 1,35-1,7 0/00 kann unter den besonderen Umständen des jeweiligen Falles zur Feststellung der Fahruntüchtigkeit des Schiffsführers berechtigen.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 23. Februar 1967

II ZR 42/65

(Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe)

Zum Tatbestand:

Die Klägerin ist Ladungsversicherin von Eisenpartien, die sich an Bord von MS „SM IV befanden. Den Transport von Düsseldorf nach Stuttgart hatte die Fa. A. übernommen und sich hierzu des gemieteten MS „SM II" bedient, das vom Beklagten zu 2 geführt wurde und dessen Eigner der Beklagte zu 1 ist.
MS „SM IV befand sich auf der Bergreise bei Mainz, wo der Beklagte zu 2 nach dem Mittagsaufenthalt in mehreren Gaststätten sich gegen 14.00 Uhr wieder an Bord begab. Nach Fortsetzung der Reise lief „SM IV oberhalb der Südbrücke dem linksrheinisch zu Berg fahrenden Schleppzug „R 155" auf, der seinerseits den Schleppzug „S" überholte. Vor der damals im Bau befindlichen Weisenauer Brücke richtete MS „SM II" seinen Kurs nach Steuerbord, um die Brückendurchfahrt zu gewinnen. Beim Aufstrecken stieß sein Steuerbordachterschiff am Bug von MS „R 155" an und blieb infolge Verfangens des Bugankers von MS „R 155" an den Achterschiffsbaufen von „SM iI" hängen. Letzteres geriet dadurch in Querlage vor den Bug des inzwischen aufgekommenen MS „S", wurde mittschiffs von MS S" gerammt und sank. Der Beklagte zu 2, der vor dem Unfall Alkohol zu sich genommen hatte, wurde wegen fahrlässiger Transportgefährdung verurteilt.
Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen grob fahrlässigen Verschuldens des fahruntüchtig gewordnen Beklagten zu 2.
Die Beklagten bestreiten die Sachlegitimation der Klägerin, weil nach den Konnossementsbedingungen (KB.) der Fa. A. die Abtretung von Ersatzansprüchen verboten gewesen sei. Außerdem seien sie durch diese Bedingungen von jeder Haftung freigezeichnet worden.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Berufung und Revision der Beklagten blieben erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht legt zutreffend dar, daß die KB durch Bezugnahme in den Konnossementen (Ladescheinen) Inhalt des Frachtvertrages zwischen der Firma A. und der Absenderin geworden seien und infolge der Annahme der Konnossemente durch die Empfänger auch für das Rechtsverhältnis zwischen der Firma A. und den Empfängern verbindlich geworden seien. Das Berufungsgericht legt ferner die in den KB enthaltenen Freizeichnungsklauseln dahin aus, daß diese auch zugunsten der Schiffsbesatzungen wirkten und auch einen Ausschluß für außervertragliches Verschulden herbeiführen könnten. Das könne jedoch nach dem Parteiwillen nur für die üblichen Risiken gelten, mit denen zu rechnen sei, für die immer wieder vorkommenden Nachlässigkeiten, den Leichtsinn oder sonstiges nautisches Versagen der Schiffsbesatzungen. Dagegen beziehe sich der Haftungsausschluß nicht auf solche Fälle grober Fahrlässigkeit, mit denen eine Partei billiger- und gerechterweise nicht rechnen könne. Das sei der Fall, wenn ein Schiffsführer durch Alkoholmißbrauchs fahruntüchtig sei und es infolgedessen zu einem Unfall komme. So liege der Fall hier. Die Beklagten könnten sich daher nicht auf die Freizeichnung berufen.

Die KB der Firma A. sind ausländische allgemeine Geschäftsbedingungen, die der freien Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzogen sind. Die Revision muß daher die Auslegung dieser KB durch das Berufungsgericht hinnehmen.

Im Berufungsverfahren haben die Beklagten sich dagegen verwahrt, daß die Strafakten zum Gegenstand des Bweises beigezogen worden sind, und vorgebracht, die von der Klägerin benannten Zeugen hätten vernommen werden müssen. Diesem Vorbringen der Beklagten im Berufungsrechtszug war zwar zu entnehmen, daß die Beklagten mit der Verwertung der Akten des Strafprozesses im Wege des Urkundenbeweises nicht einverstanden sind. Eines solchen Einverständnisses bedurfte es aber nicht (Stein-Jonas-Schönke ZPO 18. Aufl. § 286 Anm. III 4, 5). Das Berufungsgericht konnte unter Würdigung der in den Strafakten enthaltenen Urkunden zu der Oberzeugung kommen, daf9 der von der Klägerin behauptete Geschehensablauf, der zu dem Unfall führte, erwiesen ist. Das Berufungsgericht hat diese Oberzeugung gewonnen. Daran ändert nichts seine Bemerkung, der Wert einer Einvernahme der von der Klägerin benannten Zeugen dürfte auch übrigens infolge der inzwischen verstrichenen Zeit zweifelhaft sein. In dieser Bemerkung wäre eine Vorwegnahme des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nur dann zu sehen, wenn die Zeugen von den Beklagten benannt worden wären. Erachtet dagegen das Gericht die Behauptung einer Partei, sei es mit oder ohne Beweisaufnahme, für wahr, hält es also, wie hier, den Beweis schon für geführt, so hat eine (weitere) Beweisaufnahme auf Antrag dieser Partei, weil überflüssig, zu unterbleiben. Hiernach bedurfte es nicht der Vernehmung der von der Klägerin für ihre Behauptung benannten Zeugen. Anders wäre es nur dann, wenn sich die Beklagten für den von ihnen behaupteten Geschehensablauf auf die von der Klägerin benannten Zeugen nach § 373 ZPO gegenbeweißlich berufen hätten (RG WarnR 1908 Nr. 246; Wieczorek ZPO § 286 Anm. C III b 5). Das ist jedoch entgegen der Behauptung der Revision nicht geschehen.
Hiernach steht das Verfahren des Berufungsgerichts im Einklang mit den Vorschriften der §§ 139, 286 ZPO.
Zu Unrecht bemängelt die Revision die Feststellung der Fahruntüchtigkeit des Beklagten zu 2. Nach dem Gutachten des Instituts für gerichtliche Medizin und Kriminalistik der Universität Mainz konnte das Berufungsgericht von einem Blutalkoholgehalt von 1,35 bis 1,7 %o zur Tatzeit ausgehen. Unerheblich ist, ob ein solcher Blutalkoholgehalt allgemein zur Fahruntüchtigkeit eines Schiffsführers führt. Aufgrund seiner Feststellungen über die besonderen Umstände des vorliegenden Falles hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler die Überzeugung gewonnen, daß der Beklagte zu 2 fahruntüchtig gewesen sei."