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II ZR 43/62 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 14.11.1963
Aktenzeichen: II ZR 43/62
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Richtiges Verhalten bei Überholmanövern von Schleppzügen in engen Krümmungen des Neckar

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 14. November 1963

(Schiffahrtsgericht Mannheim / Schiffahrtsobergericht Karlsruhe)

II ZR 43/62

Zum Tatbestand

Ein der Klägerin gehörender Bergschleppzug, bestehend aus dem Boot „A" und dem Anhangkahn „B" (11,01 m breit, 87 m lang) begann auf dem Neckar bei der Ladenburger Eisenbahnbrücke (km 13,2) nach Zeichengebung die Überholung eines auf der linken Uferseite fahrenden Schleppzuges, bestehend aus dem der Beklagten zu 1 gehörenden und vom Beklagten zu 2 geführten Boot „C" sowie den Kähnen „D" (1. Länge - 45 m lang, 6,86 m breit) und „E" (2. Länge). Als Boot „C" und Kahn „D" nach Backbord abkamen, gab die Führung des Kahns „B", einen Zusammenstoß mit „D" befürchtend, ebenfalls nach Backbord nach und erlitt infolgedessen etwa bei km 13,65 mit dem Backbordvorschiff Grundberührung.
Die Klage auf Schadensersatz war vom Schiffahrtsgericht abgewiesen, vom Schiffahrtsobergericht dagegen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die hiergegen eingelegte Revision der Beklagten blieb ergebnislos.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Im Gegensatz zum Schiffahrtsgericht hat das Schiffahrtsobergericht das überholen des „C"-Schleppzuges durch den Schleppzug der Klägerin für zulässig erachtet. Es hat ausgeführt: Das Fahrwasser sei an der engsten Stelle der in Betracht kommenden Überholstrecke, nämlich bei km 13,65, wo auch die Grundberührung stattgefunden habe, 46 m breit. An dieser Stelle der größten Biegung betrage der Krümmungsradius etwa 600' m. Der Sicherheitsabstand, den die Fahrzeuge von der durch Schwimmstangen gekennzeichneten Fahrwassergrenze einhalten müßten, sei beiderseits mit je 5 m zu bemessen. Das bedeute für den 87 m langen Kahn „B", daß dessen Mittelschiff bei einem Krümmungsradius von 600 m von der Fahrwassergrenze 7 m entfernt sei, wenn sein Bug und sein Heck je 5 m Abstand von der Fahrwassergrenze hielten. Werde demnach der seitliche Abstand des Kahnes B' von der rechten Fahrwassergrenze mit 7 m, seine Schiffsbreite mit 11 m, die Schiffsbreite des Kahnes „D" mit rund 7 m und dessen Abstand von der linken Fahrwassergrenze mit 5 m angenommen, so betrage der seitliche Abstand der beiden Schleppzüge mit ihren breitesten Schiffen voneinander an der engsten Stelle 16 m. Das Berufungsgericht hält unter den gegebenen Umständen (kein Gegenverkehr, keine der Überholung hinderlichen besonderen Strömungs- oder Windverhältnisse, gestrecktes Fahren des „C"-Schleppzuges an der linken Fahrwasserbegrenzung beim Beginn des Überholens) einen Seitenabstand von 16 m für durchaus genügend zum überholen.

Mit diesen rechtlich einwandfreien Ausführungen ist der Hauptangriff der Revision, die das 'überholen mangels ausreichenden Raumes für unzulässig hält, erledigt.

Was die Revision gegen die Ansicht des Berufungsgerichts über die Zulässigkeit des Überholens vorbringt, wendet sich in unzulässiger Weise gegen die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil. Das gilt namentlich für die Behauptung, bei der geringen Geschwindigkeit von „C" und der Größe des Kahnes „B" sei der Seitenabstand des Mittelschiffs von „B" von der rechten Fahrwassergrenze mit mindestens 15 m zu bemessen, da der Neckar eine starke Krümmung mache und die Strömung in den Hang gehe. Denn das Berufungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, daß nicht vorgetragen worden sei, der Überholung hätten besondere Strömungsverhältnisse entgegengestanden. Nicht ersichtlich ist, inwiefern das Steuern in der leichten Krümmung einen ständig wechselnden Kurs bedingen und mit Schwierigkeiten verbunden sein soll. Wenn beide Schleppzüge nautisch richtig fuhren, insbesondere der C"-Schleppzug sich an der linken Fahrwassergrenze hielt, konnte bei einem Seitenabstand von 16 m und der hier in Frage kommenden Geschwindigkeit auch keine das überholen gefährdende Sogwirkung in Erscheinung treten.
Das nautisch fehlerhafte Verhalten des Beklagten hat das Schiffahrtsobergericht darin gesehen, dat3 er seiner Verpflichtung (§ 37 Nr. 2, § 42 Nr. 1 S. 3, § 43 Nr. 3 BSchSO), sich nach Einleitung des Überholmanövers weiterhin an der linksseitigen Fahrwassergrenze zu halten, nicht nachgekommen ist, obwohl ihm das möglich gewesen sei.
Entscheidend ist, daß der Kahn „D" in das dem Kahn „B" zustehende und von diesem benötigte Fahrwasser geriet und dadurch den Kahn „B" auf die Unterwasserzeile abdrängte. Ohne Erfolg muß der Versuch der Revision bleiben, die Verantwortung hierfür auf die Führung des Kahnes „D" abzuwälzen. Nach der von der Revision übersehenen Feststellung im angefochtenen Urteil leistete die Besatzung des Kahnes „D" dem von „C" gesteuerten Kurs Widerstand, indem drei Mann Steuerbordruder hielten. Wenn es der Besatzung von „D" nicht gelang, den Kahn gestreckt an der rechten Fahrwassergrenze zu halten, so ist dies nach der Feststellung des Berufungsgerichts darauf zurückzuführen, daß das Boot den Kahn nach Backbord abgezogen hat.
Einen den fehlerhaften Backbordkurs von „C" rechtfertigenden Grund haben die Beklagten nicht dartun können. Insbesondere kann der Grund für diesen falschen Kurs nicht eine von dem Boot „A" ausgehende Sogwirkung gewesen sein. Nach der Aussage des Schiffsführers vom Kahn „D", der das Berufungsgericht folgt, hat das Boot „C" mit dem Abziehen nach Backbord bereits begonnen, als der A"-Zug noch hinter „D" gefahren ist. Wenn der vom Boot „A" ausgehende Sog überhaupt sich auf den Kahn „D" ausgewirkt haben sollte, dann konnte das nur deshalb geschehen, weil „C" den Kahn nach Backbord gezogen hatte. Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß eine Sogwirkung des Bootes „A" weder auf das Boot „C" noch auf dessen Anhang „D" hätte ausgehen können, wenn sich der „C"-Zug pflichtgemäl3 in der linken Fahrwassergrenze gehalten hätte, da dann der seitliche Abstand über 20 m betragen hätte.
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der Schiffsführung von „A" sei auch daraus kein Schuldvorwurf zu machen, daf) sie das 'überholen nicht eingestellt habe, als „C" Backbordkurs eingeschlagen habe. In diesem Zeitpunkt habe sich der 87 m lange Kahn „B" in Höhe des Hinterschiffes von „E" befunden. Bei dem geringen Vorausgang des „C"-Zuges hätte „A" praktisch keine Vorausfahrt mehr machen dürfen, wenn das Boot das 'überholen hätte abbrechen wollen. Damit wäre „B" mit rapid abnehmender Ruderwirkung seinem Schicksal überlassen gewesen. Wenn sich die Führung von „A" entschlossen habe, anstelle jedes anderen gewagten Manövers das 'überholen fortzusetzen, so liege darin kein Mitverschulden an der Herbeiführung des Unfalls, zumal dem Boot „C" für alle Beteiligten ersichtlich, die Möglichkeit offengestanden habe, von seinem Backbordkurs abzulassen. Diese Ausführungen lassen keinen Rechtsfehler erkennen.
Daß das „Gestikulieren" des beklagten Schiffsführers die Bedeutung einer Warnung an den Schiffsführer von „A" hatte, haben die Beklagten nicht bewiesen.

Ob das Überholmanöver bei km 13,2 oder 13,3 begonnen hat, ist bei der gegebenen Sachlage ebenso unerheblich wie die Länge der Überholstrecke, so daß es keiner Stellungnahme zu den Beanstandungen der Revision bedarf."