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II ZR 44/61 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 12.03.1962
Aktenzeichen: II ZR 44/61
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Beurteilung von Begegnungen zwischen Talfahrt und in Doppelreihe hintereinander formierter Bergfahrt in starken Krümmungen der Gebirgsstrecke während außerordentlichen Kleinwassers. Fehlerhafte Berücksichtigung starker und böiger Seitenwinde.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 12. März 1962

(Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

II ZR 44/61

Zum Tatbestand:

Wegen starkem Kleinwassers Anfang Dezember 1957 mußte die Bergfahrt zwischen Koblenz und Bingen auf Weisung der Wasserschutzpolizei einzeln oder in Doppelreihe ohne Überholmöglichkeit hintereinanderfahren und wegen auftretender Verstopfungen oder zwecks gefahrloser Begegnung der Talfahrt wiederholt stilliegen. An dem Unfalltage (0,99 m Kauber Pegel) lag das dem Beklagten gehörende und von ihm geführte MS „D" am rechtsrheinischen Filsener Grund in der starken Rechtskrümmung des Stromes bei Boppard in der äußeren Reihe der in Doppelreihe formierten Bergfahrt vorübergehend still. Zu Tal kam das leere Tankmotorschiff „A" (1200 t, 900 PS) mit 2 nebeneinander gekoppelten, halb beladenen Kähnen „B" (backbords, 1414 t) und „C" (steuerbords 1254 t) im Anhang. Kurz vor oder während der Vorbeifahrt an MS „D" rakte „B" mit dem Achterschiff am linken Ufer. Darauf geriet „A" mit dem Achterschiff auf die dem linken Ufer vorgelagerten Felsen. Die ausgeklinkten Anhangkähne schrammten A und konnten sich schließlich auf dem Achteranker länden.
Der Kläger als Eigner des Kahnes „B" und die Nebenintervenientin als Eignerin des TMS „A" machen den Beklagten für den entstandenen Schaden verantwortlich vor allem mit der Behauptung, daß „D" zu nahe am linken Ufer und außerdem zu weit aus der Reihe heraus zum Strom hin gelegen habe. Dadurch sei der der Talfahrt verbliebene Raum zu sehr eingeengt worden, zumal ein starker Sturm auf das linke Ufer gedrückt habe. Die Klage war in allen 3 Instanzen erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Auf Grund der Feststellungen kommt das Berufungsgericht einmal zu der Ansicht, daß der Beklagte den § 67 RhSchPVO nicht verletzt habe; diese Vorschrift gelte zwar, wie der Bundesgerichtshof (VersR 1960, 897, 898) ausgeführt habe, auch für ein kurzfristiges Ankern im Strom, jedoch nach dieser Entscheidung nicht für Fahrzeuge, die gezwungen seien, ausnahmsweise im Fahrwasser stillzuliegen; eine solche Ausnahme liege aber hier vor; denn es sei weder zweckmäßig noch üblich, daß in einem Falle, wo die Bergfahrt in jedem Augenblick das Zeichen zur Fortsetzung der Fahrt erhalten könne und daher sofort abfahrbereit sein müsse, die Bergfahrer zu nahe zusammenrückten oder gar Stapel bildeten; damit würde ein auch nur einigermaßen flüssiger Verkehr im Gebirge praktisch nicht mehr aufrecht zu erhalten sein. Zum anderen sei unter den gegebenen Umständen die Lage von „D" für den Unfall nicht einmal ursächlich gewesen, wie schon das Rheinschiffahrtsgericht zutreffend ausgeführt habe; „D" habe den Talzug nicht behindert; die alleinige Ursache des Unfalls sei gewesen, daß der Talzug trotz des Hanges in der Stromkrümmung und trotz des starken, zum linken Ufer hin drückenden Seitenwindes die Bergfahrer nicht schon von oben her genügend angehalten, sondern das Talboot den unter normalen Verhältnissen üblichen Kurs näher zum linken Ufer eingeschlagen und seine Anhänge in den Hang hinein habe verfallen lassen.
Daß „D" den Talzug nicht behindert hat, ist im angefochtenen Urteil ohne Rechtsirrtum tatrichterlich festgestellt.
Unbegründet ist die Rüge der Revision, § 41 Nr. 1 mit § 68 Nr. la über die Begegnung und das Stilliegen in Stromengen sei verletzt, die Bergfahrer hätten bei der Wetterlage unterhalb der Stromkrümmung warten müssen. Die allein noch in Fahrt gebliebenen Talfahrer hatten jedoch nach der Feststellung des Berufungsgerichts auch unter den gegebenen Umständen genügend Raum zur Vorbeifahrt an den in Doppelreihe liegenden Bergfahrern, so daß § 41 Nr. 1, § 68 Nr. la nicht anwendbar sind. Auch § 70 Nr. 2 ist entgegen der Ansicht der Revision nicht verletzt. Es kann keine Rede davon sein, daß sich die Talfahrt dem rechtsrheinischen, von den Stilliegern belegten Ufer auf weniger als 40 m hätte nähern müssen; denn Bergfahrt war nicht im Gange. Richtig ist vielmehr, daß das Liegen in Doppel¬reihe nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts gemäß § 70 Nr. 1 gestattet war. Daß die Wasserschutzpolizei mit ihrem Boot nach der Feststellung im angefochtenen Urteil vor dem Unfall mehrfach an den Ankerliegern vorbeigefahren war, ohne deren Lage zu beanstanden, konnte das Berufungsgericht als Anzeichen dafür verwenden, daß „D" nicht aus der Reihe heraus gelegen habe und daß die Polizei damit einverstanden gewesen sei, daß die Ankerlieger in doppelter Reihe lagen.
Es kann keine Rede davon sein, daß, wie die Revision meint, der böige und stürmische Seitenwind, der ja gerade von den Stilliegern her wehte, es verboten hätte, die Ankerlieger dichter anzuhalten. Beide Instanzgerichte haben ohne Rechtsfehler die alleinige Ursache des Unfalls darin gesehen, daß der Talzug schon verhältnismäßig weit oberhalb der Unfallstelle falsch navigiert hat, indem er den unter normalen Verhältnissen üblichen Talkurs näher zum linken Ufer eingeschlagen, also die Bergfahrer schon von oben her in weitem Bogen umfahren hat, statt, wie es der starke Seitenwind geboten hätte, die Bergfahrer schon von oben her anzuhalten. Daher ist es dem Talboot bei dem stürmischen Seitenwind nicht mehr gelungen, seine Anharigkähne aus dem Hang herauszuziehen. Bei dieser Sachlage entbehrt die Rüge der Revision, das Beru¬fungsgericht habe nur den letzten Fahrtabschnitt nach dem Raken des Kahnes „B" in Betracht gezogen und daraus falsche Rückschlüsse auf den vorhergehenden Kurs des Talbootes gezogen, jeder Berechtigung. Wenn das Berufungsgericht nebenbei bemerkt, auch die Wasserschutzpolizei habe die Unfallursache in dem Navigationsfehler des Talbootes gesehen, so beruht hierauf nicht das Urteil, in dem das nautische Verhalten der Beteiligten selbständig gewürdigt ist. „A" hat nach der Feststellung des Berufungsgerichts bei weitem nicht einmal den ihm zur Verfügung stehenden Raum ausgenutzt; ob es ihn bei stärkerer Einsetzung seiner Maschinenkraft noch mit Erfolg hätte ausnutzen können - die Lage von „D" wäre dem jedenfalls nicht entgegengestanden -, kann dahingestellt bleiben. Aus all dem ergibt sich, wie schon ausgeführt, daß auch ein etwaiger Verstoß des Beklagten gegen § 67 für den Unfall nicht ursächlich gewesen wäre. Die Behauptung der Revision, auch bei einem dichten Anhalten der Ankerlieger wäre der Talzug durch Stromversetzung und Wind auf die Felsen am linken Ufer getrieben worden, enthält einen unzulässigen Angriff gegen die Beweisführung des angefochtenen Urteils.