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II ZR 49/63 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 21.01.1965
Aktenzeichen: II ZR 49/63
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsätze:

1) In Binnenschiffahrtssachen werden durch eine vorbehaltlose kontradiktorische Schadenstaxe die zur Wiederherstellung erforderlichen Kosten und die Dauer der Reparatur festgelegt. Dagegen wird durch diese Taxierung die Einwendung des Schädigers nicht ausgeschlossen, es sei überhaupt kein Schaden entstanden oder der Schaden sei aus Rechtsgründen anders zu ermitteln.

2) Der Geschädigte kann den für die Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag, wie er sich aus der kontradiktorischen Schadenstaxe ergibt, grundsätzlich auch dann verlangen, wenn er das Schiff nicht repariert und nicht wieder in Betrieb setzt, sondern zum Schrottpreis veräußert. Zur Frage der unverhältnismäßigen Aufwendungen i. S. des § 251 Abs. 2 BGB.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 21. Januar 1965

(Rheinschiffahrtsgericht St. Goar/ Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Der mit Anhang Kahn „B" auf erster Länge zu Tal fahrende Radschlepper „A" der Klägerin wurde bei einem Zusammenstoß mit Anhangkahn „D" des zu Berg kommenden Schleppbootes „C" (Eigentümer und Schiffsführer von „C" die Beklagten zu 3 und 4, von „D" die Beklagten zu 1 und 2) schwer beschädigt. Die Schadensersatzklage gegen die Beklagten zu 1 bis 4 wurde dem Grunde nach durch rechtskräftiges Urteil für gerechtfertigt erklärt.
Im vorliegenden Rechtsstreit geht es nur noch um die Höhe des Schadensbetrages. Dazu wurde u. a. vorgetragen, daß 2 Monate nach dem Unfall eine kontradiktorische Schadenstaxe aufgestellt wurde, in welcher der Experte „E" (für „B") bemerkte, daß die Reparaturkosten nach seiner Meinung höher seien als der Unterschied zwischen den Werten des Schiffes vor und nach dem Unfall. Diese Bemerkung wurde von dem Experten „F" (für „D") gebilligt. Die Interessenten von „C" hatten keinen Experten gestellt, jedoch erklärt, daß sie die Taxe ohne Beteiligung anerkennen würden. Acht Monate nach dem Unfall hat die Klägerin den Radschlepper ohne zuvorige Reparatur zum Schrottpreis von 100 000 DM verkauft.
Von dem seitens des Rheinschiffahrtsgerichfs zuerkannten Betrage von ca. 96 500 DM haben die Beklagten ihre Verurteilung in Höhe von ca. 2400 DM hingenommen. Das Berufungsgericht hat einen noch weiter erhöhten Betrag zugesprochen, der sich im Revisionsverfahren aus 55 940,40 DM Kaskoschaden und 44 100 DM Nutzungsverlust (Sa.: 100 040,40 DM) zusammensetzt.
Die Revision blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Gleichgültig ist, welche Staatsangehörigkeit die Beklagten besitzen, da die Rechtsfolgen aus dem Unfall, der sich auf deutschem Gebiet ereignet hat, nach deutschem Recht zu beurteilen sind und daher für die Beurteilung der kontradiktorischen Schadenstaxe der deutsche Schiffahrtsbrauch heranzuziehen ist. Es bedarf daher keiner Prüfung, ob darüber hinaus hier nicht eine internationale Verkehrssitte der Rheinschiffahrtskreise besteht.
Die Beklagten zu 3 und 4 sind, was auch die Revision nicht in Frage stellt, zur Mitwirkung bei der Schadenstaxierung eingeladen worden, haben sich aber nicht vertreten lassen, sondern erklärt, sie würden die Taxe ohne Beteiligung anerkennen. Nach der Feststellung des Berufungsgerichts haben die Beklagten in dieser Richtung in den Vorinstanzen auch keine Einwendungen erhoben. Mit ihren nachträglichen Einwendungen kann die Revision nicht gehört werden. Die Beklagten zu 3 und 4 müssen sich so behandeln lassen, als wenn sie oder etwaige von ihnen beauftragte Experten die Taxe unterschrieben hätten.

Unbedenklich ist die vom Berufungsgericht unter Berücksichtigung des Schiffahrtsbrauches vorgenommene Auslegung des in der kontradiktorischen Schadenstaxe zum Ausdruck gekommenen Parteiwillens. Danach werden durch die Taxe die Höhe der Reparaturkosten und die Dauer der Reparatur nach dem für die Taxierung maßgebenden Zeitpunkt endgültig festgelegt, soweit kein Vorbehalt gemacht ist (vgl. Wassermeyer, Der Kollisionsprozeß in der Binnenschiffahrt, 3. Auflage S. 365 ff). Gegen diese Auslegung werden auch von den Revisionen keine Einwendungen erhoben. Stellt sich demnach heraus, daß später, im Zeitpunkt der tatsächlich vorgenommenen Reparatur oder ohne eine solche im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz, die Reparaturkosten höher oder geringer oder die Reparaturdauer länger oder kürzer sind, so ist das ohne Bedeutung.

Dem Berufungsgericht ist auch darin zuzustimmen, daß der geschädigte Schiffseigner die (in der Taxe festgelegten) Reparaturkosten grundsätzlich auch dann ersetzt verlangen kann, wenn er den Schaden nicht beseitigen läßt. Das gilt schon nach § 249 S. 2 BGB. Im Falle der Beschädigung einer Sache kann vom Zeitpunkt des Eingriffs des Schädigers an der Gläubiger statt der Herstellung der Sache den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Das Gesetz knüpft diesen Geldanspruch nicht an die Voraussetzung, daß der Gläubiger selbst die Herstellung vornimmt oder vornehmen läßt; der Schuldner kann vom Gläubiger nicht die Verwendung des Geldes zur Herstellung verlangen (RG HRR 1933 Nr. 1405). Durch die Vergütung in Geld wird der Gläubiger entsprechend der Regelung in § 249 S. 1 BGB zwar nicht tatsächlich, aber wirtschaftlich in den Zustand versetzt, in dem er sich vor der Beschädigung seiner Sache befand (RGZ 126, 401, 403; BGHZ 30, 29, 31 ff).
Die von den Parteien beauftragten Experten, die keine schiedsrichterlichen Funktionen haben, sind, ganz abgesehen davon, daß ihnen hierfür regelmäßig die tatsächlichen Unterlagen fehlen, jedoch nicht zur Entscheidung der Frage berufen, ob trotz Beschädigung eines Schiffes aus besonderen Gründen ein Schaden im Rechtssinne nicht vorliegt, oder ob der Schaden aus Rechtsgründen nicht nach den Wiederherstellungskosten (einschließlich Gewinnentgang) zu berechnen ist.
Auch der Einwand des Schädigers, die Herstellung sei nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen möglich und daher nur ein Geldersatzanspruch nach § 251 Abs. 2 BGB gegeben, kann durch eine kontradiktorische Schadenstaxe grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden. Wenn das Berufungsgericht sich für seine Ansicht auf einen Schiffahrtsbrauch beruft, so fehlt es insoweit an der Feststellung, daß sich in einem angemessenen Zeitraum unter Zustimmung der beteiligten Schiffahrtskreise eine tatsächliche Übung dahin gebildet habe, daß die Experten auch über solche Rechtsfragen zu entscheiden hätten.
Jedoch vermag dieser Rechtsirrtum den Bestand des angefochtenen Urteils, soweit in diesem über die Reparaturkosten entschieden ist, nicht zu gefährden. Wäre freilich vor der Unfallfahrt die Außerdienststellung des Schiffes und sein Verkauf zur Verschrottung bereits beschlossene Sache gewesen, so würde für den Regelfall anzunehmen sein, daf3 der Wert des Schiffes für den Schiffseigner dem Schrottpreis entspricht, die Beschädigung von Schiffsteilen in der Regel keinen Einfluß auf den Schrottwert hat und daher dem Schiffseigner durch die Beschädigung des Schiffs kein Schaden entstanden ist, soweit der Schiffswert in Frage steht; der Schiffseigner könnte daher nicht den Ersatz der Reparaturkosten verlangen, da deren Aufwendungen nicht erforderlich wären, um ihn wirtschaftlich so zu stellen, wie er vor dem Unfall gestanden hätte; in Bezug auf den Schiffswert hätte sich die wirtschaftliche Lage des Schiffseigners durch den Unfall nicht geändert.

Die Beklagten haben behauptet, das Schiff habe schon vor dem Unfall nur noch Schrottwert gehabt, da die wirtschaftliche Entwicklung dahin gegangen sei, Radschleppdampfer außer Dienst zu stellen. Bei der Schadensermittlung kommt es jedoch regelmäßig nicht darauf an, welchen Verkehrswert die beschädigte Sache hatte, sondern welchen Wert sie in den Händen des Geschädigten besaß (vgl. RGZ 171, 292, 294; BGHZ 30, 29, 34).

Die Auffassung des Berufungsgerichts, das Schiff habe für die Klägerin einen höheren Wert als den Schrottwert besessen, ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Die Frage, ob die zur Herstellung einer beschädigten Sache erforderlichen Aufwendungen unverhältnismäßig hoch sind (§ 251 Abs. 2 BGB), unterliegt im wesentlichen der tatrichterlichen Würdigung (BGB LM BGB § 251 Nr. 8). Dabei ist, wie das Reichsgericht in Deutsches Recht 1944, 451 ausgeführt hat, zu prüfen, ob die Kosten der Herstellung in einem augenfälligen Mißverhältnis zur Höhe des andernfalls verbleibenden Schadens stehen. Dieser Schaden würde nicht nur in dem gegenständlichen Minderwert -liegen, den das Schiff durch den Unfall erlitten hat, sondern auch in dem Verlust der Gebrauchsvorteile, die das Schiff ohne den Unfall noch einige Jahre der Klägerin gewährt hätte (RGZ 71, 212, 216; 171, 292, 294). Von diesem Rechtsstandpunkt ist das Berufungsgericht bei seiner tatrichterlichen Würdigung ausgegangen.

Die Reparaturkosten einschließlich der Aufwendungen für Nutzungsverlust hätten den Sachwert nicht überschritten. Die Beklagten haben auch nicht dargetan, daß die Klägerin in der Lage gewesen wäre, einen entsprechenden gebrauchten Schleppdampfer zu einem Betrag von weniger als 156 000 DM (Schrottwert zuzüglich Instandsetzungskosten) zu erwerben. Der Betrag der von der Klägerin geforderten Nutzungsentschädigung von 44100 DM muß hier außer Betracht bleiben, da die Beklagten ebenfalls nicht dargetan haben, daß die Klägerin in wesentlich kürzerer Frist als 49 Tagen in der Lage gewesen wäre, einen entsprechenden gebrauchten Schleppdampfer zu kaufen und für ihre Zwecke einzusetzen.

Das Berufungsgericht hat die Bemerkung der Experten „E" und „F" in der Taxe, die Reparaturkosten seien nach ihrer Meinung höher als der Unterschied zwischen den Werfen des Schiffes vor und nach dem Unfall, dahin ausgelegt, daß nach der Meinung dieser Experten durch die Reparatur eine Wertverbesserung gegenüber dem Zustand vor dem Unfall eintreten würde. Diese Auslegung ist naheliegend und für die Revisionen, die die Bemerkung dahin auslegen, die Aufwendung der Reparaturkosten sei wirtschaftlich nicht vertretbar, die Reparatur lohne sich nicht, nicht angreifbar; es kommt nur auf den objektiven Erklärungsinhalt der Bemerkung an, nicht darauf, was sich die Experten bei der Niederlegung ihrer Bemerkung gedacht haben.

Das Reichsgericht (HRR 1933 Nr. 1405; JW 1937 S. 3223, 3224) hat die Auffassung vertreten, die in § 249 S. 2 BGB getroffene Regelung lasse die Natur des Anspruchs als eines Herstellungsanspruchs unberührt und gebe ihm lediglich eine andere Form (vgl. hierzu auch RGZ 71, 212, 214, BGHZ 30, 29, 30). Daraus sei zu folgern, daß mit dem Wegfall des Herstellungsanspruchs auch seine durch § 249 S. 2 BGB geschaffene besondere Gestaltung entfalle. Für die Frage, wann das begründete Herstellungsverlangen noch bestehen müsse, sei der Zeitpunkt der Schlußverhandlung vor dem Tatrichter entscheidend. Ein einmal entstandener Anspruch auf Herstellungskosten könne wieder wegfallen oder sich dem Umfange nach ändern; erst mit der Rechtskraft eines ihn anerkennenden Urteils werde er festgelegt. Wenn der Geschädigte die beschädigte Sache inzwischen verkauft habe und nicht mehr in der Lage sei, die Sache wieder instandzusetzen, so entfalle mit dem Herstellungsanspruch auch der Anspruch auf Erstattung der Wiederherstellungskosten. Zu ersetzen sei dann nach § 251 Abs. 1 BGB grundsätzlich mindestens der Minderwert, den die Sache unmittelbar nach der Schadenszufügung als deren Folge gehabt habe.
Diesen Ausführungen des Reichsgerichts kann nach Aufnahme einer vorbehaltlosen Schadenstaxe in Binnenschifffahrtssachen nicht gefolgt werden. Durch eine solche Taxierung treffen die Parteien eine bestimmte Vereinbarung, der gegenüber es auf die dispositiven gesetzlichen Vorschriften nicht ankommt. So liegt der Fall hier.
Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, hat sich die Klägerin durch die Einladung zur Schadensaufnahme für die Instandsetzung entschieden. Nach dem Sinn und Zweck der kontradiktorischen Schadenstaxe war mit ihrer Unterzeichnung nicht nur die Erklärung der Klägerin, statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag zu verlangen, unwiderruflich geworden; es waren, wie ausgeführt, gleichzeitig die Höhe der Reparaturkosten und die Dauer der Reparaturzeit für die an der Schadenstaxierung Beteiligten bindend festgelegt. Wenn nach § 249 S. 2 BGB der Schuldner den "zur Herstellung „erforderlichen" Geldbetrag zu vergüten hat, und dieser Betrag sich grundsätzlich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatrichter bestimmt, so ist hier, abweichend von dieser nachgiebigen Gesetzesvorschrift, durch die Parteien vereinbart, daß der Zeitpunkt der Schadensaufnahme für die Berechnung des Schadens maßgebend ist. Besteht hiernach allein ein Anspruch des Gläubigers auf den bezeichneten Geldbetrag der taxierten Reparaturkosten, der keiner Veränderung in der Zukunft unterworfen ist (insoweit handelt es sich um einen abgeschlossenen, nicht mehr entwicklungsfähigen Schaden, vgl. BGH VersR 1960, 115, 117), so kann dieser Anspruch nicht dadurch berührt werden, daß später die Herstellung, etwa wegen Verkaufs der Sache durch den Gläubiger, unmöglich wird; die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Herstellung spielt weder für den Grund noch für die Höhe des Anspruchs eine Rolle; es würde den in der kontradiktorischen Schadenstaxe zum Ausdruck gekommenen Parteiwillen, der auf Schaffung klarer Verhältnisse abzielt, widersprechen, wenn wegen der Unmöglichkeit der Herstellung nunmehr eine ganz andere Schadensberechnung, wie sie im Falle des § 251 Abs. 1 BGB vorzunehmen ist, einzutreten hätte.
Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht einen Schifffahrtsbrauch dahingehend festgestellt, es sei anzunehmen, daß der geschädigte Schiffseigner das Schiff während der Reparaturzeit nutzbringend hätte verwenden können. Damit wird zugunsten des geschädigten Schiffseigners vermutet, daß die in § 252 S. 2 BGB enthaltenen Voraussetzungen für den Anspruch auf entgangenen Gewinn vorliegen, und es ist Sache des Schädigers, den Beweis zu führen, daß diese Voraussetzungen nicht gegeben sind. Den Ausführungen im angefochtenen Urteil ist zu entnehmen, daß die Klägerin ihr Schiff weiter genutzt hätte, wenn sich der Unfall nicht ereignet hätte; auch ist das Berufungsgericht zu der Überzeugung gekommen (§ 287 ZPO), daß die Klägerin das Boot weiterhin nutzbringend hätte einsetzen können. Der Klägerin ist daher der entgangene Gewinn zu ersetzen. Unbedenklich sind auch die Ausführungen des Berufungsgerichts, daß nach Schiffahrtsbrauch der Nutzungsverlust abstrakt nach dem Gewinnausfall errechnet werde, den ein Fahrzeug dieser Art und Größe nach den zur Unfallzeit üblichen Sätzen normalerweise gehabt haben würde.