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II ZR 75/63 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 26.10.1964
Aktenzeichen: II ZR 75/63
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Bei unübersichtlicher Strecke oder wesentlicher Fahrtbehinderung anderer Fahrzeuge ist das Wenden unter folgenden Voraussetzungen gestattet:

a) Das wendende Fahrzeug muss seine Absicht rechtzeitig durch Wendesignal ankündigen,

b) den anderen Fahrzeugen muss es möglich sein, ihre Geschwindigkeit so weit zu vermindern und (oder) ihren Kurs in der Weise zu ändern, dass das Wenden ohne Gefahr geschehen kann.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 26. Oktober 1964

(Rheinschifffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort/Rheinschifffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Der bei der Klägerin versicherte Kahn „A" befand sich bei Duisburg rechtsrheinisch im Anhang von MS „C" auf der Bergfahrt. Wie in einem Vorprozel3 rechtskräftig festgestellt worden ist, begann „A" zu spät damit, den vor ihm liegenden, etwas nach Steuerbord verfallenen Anhangkahn „D" eines Monopolbootes zu überholen. Dadurch geriet „A" selbst zu weit nach Steuerbord und fuhr dem Steuerbord auf Steuerbord entgegenkommenden, zu Tal fahrenden MS „E", das ein wenig nach Backbord auswich, gegen die Steuerbordseite. Die am nichtschuldigen „E" entstandenen Schäden hat die Klägerin als Versicherin von „A" an die Versicherin von „E" bezahlt. Im Grundurteil des Vorprozesses wurde ausgeführt, dass es dahingestellt bleibe, ob der Unfall in ursächlichem Zusammenhang auch noch mit Fehlern anderer Schiffsführungen stehe.

Die Klägerin verlangt nun von der Beklagten nun die Erstattung von 4/5 des Schadensbetrages, da deren Hafenboot „B" im Zeitpunkt der Kollision mit einer mit Kies beladenen Schute unterhalb der Unfallstelle, von der Reede von Duisburg kommend und über Backbord zu Tal drehend, im Hinblick auf die Lage im Revier ein unzulässiges Wendemanöver ausgeführt habe. Dadurch sei das MS „E" daran gehindert worden, weiter nach Backbord auszuweichen, wo das Fahrwasser nicht belegt gewesen sei. Nur deshalb sei es zur Berührung von „A" und „E" gekommen. Die Klage ist vom Rheinschifffahrts- und Rheinschifffahrtsobergericht abgewiesen worden. Die Revision der Klägerin blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Revision geht von einer irrigen Rechtsansicht aus, wenn sie ausführt, primär sei beim Wenden auf einer Reede die Berechtigung zum Wenden von der durchgehenden Schifffahrt abhängig; § 46 Abs. 3 RhSchPVO komme erst zur Anwendung, wenn das Wenden überhaupt gestattet sei. Gerade das Gegenteil ist richtig. Nach § 46 Nr. 1 RhSchPVO ist das Wenden zu Berg und entsprechend das Wenden zu Tal auf Reeden (§ 47 Nr. 2 RhSchPVO) „unbeschadet der Bestimmung der Nummern 2 und 3" nur gestattet, wenn der übrige Verkehr dies zulässt. Das bedeutet:

Auch bei unübersichtlicher Strecke oder wesentlicher Fahrbehinderung anderer Fahrzeuge (Zwang dieser Fahrzeuge zur Verringerung der Geschwindigkeit oder Kursänderung) ist das Wenden unter folgenden Voraussetzungen gestattet:

a) das wendende Fahrzeug muss seine Absicht rechtzeitig durch Wendesignal ankündigen,
b) den anderen Fahrzeugen muss es möglich sein, ihre Geschwindigkeit soweit zu vermindern und (oder) ihren Kurs in der Weise zu ändern, dass das Wenden ohne Gefahr geschehen kann.
Die Voraussetzung unter b) ist, wie der Senat in seinem Urteil vom 5. Oktober 1964 II ZR 84/63*) entschieden hat, auch dann erfüllt, wenn die anderen Fahrzeuge ihre Maßnahmen unvermittelt, d. h. sofort und so nachdrücklich treffen müssen, wie es mit ihrer eigenen Sicherheit und der Sicherheit etwaiger sonstiger Fahrzeuge vereinbar ist.
Ein lebhafter Schiffsverkehr steht dem Wenden nicht entgegen, wenn er dies zuläßt. Das Berufungsgericht hat tatrichterlich festgestellt, daß - zunächst einmal abgesehen von „E" - der übrige Verkehr von dem beabsichtigten Wenden nicht berührt worden ist.
Nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt brauchte der Schleppzugführer von „B" in den Bereich seiner Erwägungen über das beabsichtigte Wenden nicht die Möglichkeit zu ziehen, daß ein anderer Verkehrsteilnehmer (hier der Kahn „A" durch seinen Hauer) nautische Fehler machte und dadurch ein drittes Fahrzeug (hier der Talfahrer „E") einen Zusammenstoß (hier mit „A") nur dadurch hätte vermeiden können, daß es in den Drehkreis des wendenden Schleppzuges hineingefahren wäre. Mit Recht sagt das Berufungsgericht, der Schleppzugführer habe nicht damit zu rechnen brauchen, daß „A" plötzlich zur Strommitte hin ausscheren und den Talfahrer in Schwierigkeiten bringen würde.
Die erforderliche Ausweichbewegung von „A" wäre gewesen, daß sie ihrem Schlepper rechtzeitig nach Steuerbord nachgesteuert hätte, dann hätte sich die Begegnung mit „E" reibungslos vollzogen, die Führung von „E" wäre gar nicht auf den Gedanken gekommen, nach Backbord auszuweichen, sondern hätte nach der Vorbeifahrt von „A" Steuerbordkurs in das dort freie Revier nehmen können, wie es die allgemeine Lage im Revier erfordert hätte. Eine Pflicht des Schleppzugführers, mit dem Beginn des Wendens bis zur Vorbeifahrt von E" zu warten, bestand unter den gegebenen Umständen nicht.
Fehl geht die Rüge, der „B"-Zug sei für die Schifffahrt in der rechtsrheinischen Stromhälfte überraschend gekommen. Auf eine Entfernung von 150 m hätte „E" unter den hier gegebenen Umständen die geringfügigen Maßnahmen, die nach § 46 Nr. 3 RhSchPVO erforderlich gewesen wären, ohne Schwierigkeiten durchführen können (wie das Berufungsgericht richtig annimmt), wenn sie nicht durch den Hauer von „A" daran gehindert worden wäre."