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II ZR 76/60 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 01.02.1962
Aktenzeichen: II ZR 76/60
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Norm: § 44 Nr. 1 RhSchPolVO, § 49 RhSchPolVO
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Ist ein Schleppzug nach vollzogenem Uferwechsel in der Überholung eines Fahrzeuges begriffen, so hat letzteres die Verpflichtung zur Fahrtverminderung. Bewirkt das zu überholende Schiff durch eigenes verkehrswidriges Verhalten, daß seine Überholung nicht rechtzeitig beendet werden kann und dadurch sein Kurs versperrt wird, so verstößt es gegen Treu und Glauben, wenn versucht wird, die Folgen eigenen gesetzwidrigen Verhaltens dem überholenden Schiff anzulasten.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 1. Februar 1962

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg-Ruhrort/Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

II ZR 76/60

Zum Tatbestand:

Tankleichter „A" der Klägerin befand sich auf der Duisburger Reede im Anhang des dem Nebenintervenienten gehörenden und von ihm geführten Bootes „B" auf der Bergfahrt von rechtsrheinisch kommend zu einem linksrheinischen Liegeplatz, wo er neben Tankmotorschiffen abgelegt werden sollte. Kurz vor diesen Ankerliegern stieß das gleichfalls zu Berg fahrende, dem Bekl. zu 1 gehörende und vom Bekl. zu 2 geführte MS „C" mit seinem Backbordklippanker gegen das Steuerbord-Achterschiff des backbords von ihm fahrenden Tankleichters „A".
Die Klägerin verlangt Schadensersatz und behauptet, daß der Schleppzug schon rechtsrheinisch das MS „C" überholt habe, das jedoch beim Obergang vom linken zum rechten Ufer wieder aufgekommen sei. Der Bekl. zu 2 sei gewahrschaut, daß „A" vor Anker gehen wolle. Bei den anschließenden Manövern habe sich der Bekl. zu 2 beim Versuch, das Achterschiff von „A" zu umfahren, offenbar in der Fahrgeschwindigkeit verschätzt und sei deshalb gegen Tankkahn „A" geraten.
Auf Streitverkündung der Klägerin ist ihr der Nebenintervenient beigetreten.

Die Klage ist vom Rheinschiffahrtsgericht dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen. Ihre Revision blieb gleichfalls erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß „C", nachdem der „B"-Schleppzug vom rechten zum linken Ufer hinübergewechselt war, noch mindestens 600 m neben „A" vollan weitergefahren ist. Hierdurch hat der Beklagte zu 2 gegen die zwingende Vorschrift des § 44 Nr. 1 RhSchPolVO verstoßen, wonach Fahrzeuge, die von einem Schleppzug überholt werden, während des Überholens ihre Geschwindigkeit vermindern müssen. Bei dieser Sachlage bedarf es keiner Prüfung der von der Revision aufgeworfenen Frage, ob § 44 Nr. 1 auf solche Überholvorgänge anzuwenden ist, bei denen die Überholung auf dem gegenüberliegenden Ufer beginnt und mit einer Stromüberquerung durch den Überholenden verbunden ist. Denn wenn nach vollzogenem Uferwechsel ein Schleppzug noch in der Überholung eines Fahrzeuges begriffen ist, dann hat dieses jedenfalls die Verpflichtung zur Fahrtverminderung. Es kann auch kein Zweifel darüber bestehen, daß das verkehrswidrige Verhalten des Beklagten zu 2 für den Unfall ursächlich war, in dem er sich, wie das Berufungsgericht es ausdrückt, durch seine unzulässige Fahrweise selbst in die Klemme gebracht hat. Hätte der Beklagte rechtzeitig seine Fahrt vermindert, so wäre er, schon bevor der Schleppzug langsam tat, hinter „A" zurückgeblieben und hätte dann seinerseits nach der Fahrtverminderung des Schleppzuges den Kahn „A" an Backbord überholen und dadurch die Behinderung seiner eigenen Fahrt durch die Ankerlieger vermeiden können.
Ein Mitverschulden, für das die Beklagten beweispflichtig sind, könnte vorliegen, wenn „A" den Kurs von „C" geschnitten hätte. Denn in einer solchen Kreuzung des Kurses würde eine (teilweise) Überquerung des Stromes liegen, die nach §§ 49, 47 dann nicht erlaubt ist, wenn ein anderes Fahrzeug gezwungen wird, unvermittelt seine Geschwindigkeit zu vermindern (Kählitz, Verkehrsrecht auf Binnenwasserstraßen II, RhSchPolVO § 49 Anm. 1). Eine verbotene Stromüberquerung liegt nicht darin, daß der Schleppzug den Übergang zum linken Ufer machte. Denn hierdurch wurde „C" in seiner Fahrt in keiner Weise berührt. Sie könnte nur darin liegen, daß „A" nach vollzogenem Übergang im Laufe des sich auf lange Strecke hinziehenden Nebeneinanderfahrens den Kurs von „C" gekreuzt hätte. Schon das Rheinschiffahrtsgericht ist aber zu der Überzeugung gekommen, daß der Beweis hierfür von den Beklagten nicht geführt worden ist.
Selbst wenn „A" während des Nebeneinanderfahrens den Abstand zu „C" etwas verringert haben sollte, würde darin kein Verstoß gegen § 37 Nr. 2 liegen, da diese Verringerung jedenfalls nicht in dem Maße erfolgt ist, daß hierdurch die Gefahr eines Zusammenstoßes mit „C" herbeigeführt worden wäre. Diese Gefahr entstand erst dadurch, daß das MS „C", weil es seine Fahrt nicht verminderte, bei Weiterfahrt in gestreckter Lage gegen die Ankerlieger gekommen wäre, deshalb zurückschlagen mußte und, sei es durch das Zurückschlagen, sei es durch das darauf erfolgte erneute Vorausschlagen, in den Kurs von „A" geriet.
Die Fahrtherabsetzung von „A" war unter den gegebenen Umständen zulässig. Die Schiffsführung von „C" hat durch ihr eigenes verkehrswidriges Verhalten bewirkt, daß die Überholung noch nicht beendet und ihr daher der Kurs nach Backbord versperrt war. Die Berufung der Beklagten hierauf verstößt gegen Treu und Glauben, da sie der Schiffsführung von „A" die Folgen des eigenen gesetzeswidrigen Verhaltens des Beklagten zu 2 anlasten will. Immerhin könnte noch ein geringer Schuldvorwurf gegen die Schiffsführung von „A" gerechtfertigt sein, wenn sie nicht die zur Verhütung des Zusammenstoßes geeigneten Maßnahmen ergriffen hätte, obwohl sie dazu in der Lage gewesen wäre und sie damit hätte rechnen müssen, daß der Beklagte zu 2 sein verkehrswidriges Verhalten fortsetzen würde. Aber auch in dieser Richtung kann nach der Sachlage der Schiffsführung von „A" kein Schuldvorwurf gemacht werden.
Die Schiffsführung von „A" durfte, zumal vom Kahn gleichzeitig an „C" gewahrschaut worden war, damit rechnen, daß der Beklagte zu 2 jetzt endlich, um den Folgen seines verkehrswidrigen Verhaltens zu entgehen, die Fahrt nicht nur sofort vermindern, sondern stoppen würde, so daß er hinter „A" zurückgeblieben wäre, da der Kahn weiterhin Vorausgang hatte. Nicht dagegen brauchte die Schiffsführung von „A" damit zu rechnen, daß der Beklagte zu 2, wie das Berufungsgericht ausführt, auch noch nach der Wahrschau den Versuch, die Durchfahrt zu erzwingen, nicht sogleich aufgeben, sondern erst im letzten Augenblick zurückschlagen würde.
Damit ist auch der Rüge der Revision, der Schleppzug habe durch Unterlassen von Signalabgabe den Unfall mitverschuldet, der Boden entzogen. Inwieweit das Schleppboot zu einer Signalabgabe verpflichtet gewesen wäre, kann hier unerörtert bleiben, da der Anhangkahn für etwaige Pflichtverletzungen des Schleppführers nicht einzustehen hat. Eine Signalgebung wegen Kursänderung des Schleppzuges kam nicht in Frage, da dessen Kurs während des Nebeneinanderfahrens nicht geändert worden, jedenfalls eine Änderung nicht bewiesen ist.