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II ZR 84/63 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 05.10.1964
Aktenzeichen: II ZR 84/63
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Das Manöver eines aufdrehenden (§ 46) oder auf einer Reede zu Tal wendenden (§ 47 Nr. 2) Schiffes ist (im Gegensatz zu dem Manöver eines sonst zu Tal wendenden Schiffes, § 47 Nr. 1) auch dann zulässig, wenn die anderen Fahrzeuge, sofern dies nötig und möglich ist, unvermittelt ihre Geschwindigkeit so weit vermindern und ihren Kurs in der Weise ändern müssen, darf das Wendemanöver ohne Gefahr geschehen kann. Unvermittelt bedeutet sofort und so nachdrücklich, als dies mit der Sicherheit des Fahrzeuges und etwaiger anderer Fahrzeuge vereinbar ist; es muß also auch eine wesentliche Fahrtbehinderung in Kauf genommen werden. Zur Frage, wann das Wenden eine Querfahrt darstellt.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 5. Oktober 1964

(Rheinschiffsahrtsgericht Duisburg-Ruhrort/Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

Zum Tatbestand:

Das der Klägerin gehörende leere MTS „A" kollidierte in der Talfahrt auf der Duisburger Reede unterhalb der Homberger Brücke mit dem Kahn „D", der im Schlepp des MS „E" linksrheinisch zu Berg fuhr.
Für den an „A" erlittenen Schaden macht die Klägerin die Beklagte zu 1 als Eignerin eines Schleppzuges, bestehend aus MS „B" (629 t, 57 m lang, 500 PS, 250 t Ladung) und leerem Anhangkahn „C" (3000 t, 110 m lang), sowie den Beklagten zu 2 als verantwortlichen Schiffsführer von „B" haftbar, weil der „B"-Schleppzug mit voller Kraft ein unzulässiges Wendemanöver ausgeführt habe, vom rechtsrheinischen Ufer aus über Steuerbord zu Tal wendend das MS „A" vorschriftswidrig gezwungen habe, nach dem linksrheinischen Ufer auszuweichen. Trotz Zurückschlagens sei es zum Zusammenstoß mit Kahn „D" gekommen, da „A" infolge des Verhaltens von „B" zu stark auf die linksrheinische Seite gekommen sei.
Die Beklagten halten das Wendemanöver für zulässig, das durch Signale rechtzeitig angekündigt worden sei. Beim Beginn des Manövers sei MS „A" noch 600-700 m entfernt gewesen. Andere Talfahrer hätten ihre Fahrt verlangsamt und seien nicht in Schwierigkeiten gekommen. „A" sei jedoch mit verstärkter Kraft weitergefahren.
Rheinschiffahrtsgericht und Rheinschiffahrtsobergericht haben der Klage nicht stattgegeben. Auch die Revision der Klägerin blieb erfolglos.


Aus den Entscheidungsgründen:

In Würdigung der Beweisaufnahme stellt das Berufungs-Gericht fest, das zu Tal fahrende MTS „A" sei bei Beginn des Manövers des zu Tal wendenden „B"-Schleppzuges von diesem mindestens 500 und höchstens 800 m entfernt gewesen. Das Wendemanöver sei zulässig gewesen, auch wenn man berücksichtige, daß der „B"-Schleppzug mit Rücksicht auf seine Länge die gesamte zur Verfügung stehende Strombreite von etwa 200 m vorübergehend in Anspruch genommen habe. Es könne offen bleiben, ob mit Rücksicht hierauf das Wendemanöver als eine Querfahrt angesehen werden könne. Nichts spreche dafür, daß die Führung von „B" den Drehkreis größer gewählt habe als unbedingt notwendig gewesen sei. Nach §§ 47 Nr. 2, 46 Nr. 1 RhSchPVO sei das Wenden nur gestattet, wenn der übrige Verkehr dies zulasse; dabei habe der Führer von „B" die Länge seines Schleppzuges, die damit verbundene Größe des Drehkreises und die vorübergehende Sperrung des Fahrwassers berücksichtigen müssen. Die von ihm anzuwendende Sorgfalt habe also derjenigen eines Querfahrers entsprochen. Trotzdem sei das Manöver zulässig gewesen. Es sei kurze Zeit vor seinem Beginn durch Schallzeichen gemäß § 46 Nr. 2 RhSchPVO, das mit einem Blinkzeichen gekoppelt gewesen sei, angekündigt worden. Schon auf dieses Zeichen hin hätte die Führung von „A" gemäß § 46 Nr. 3 RhSchPVO die Geschwindigkeit soweit vermindern und ihren Kurs in der Weise ändern müssen, daß das Wenden ohne Gefahr habe geschehen können.
Die Revision irrt, wenn sie meint, das Wenden habe so eingerichtet werden müssen, daß es die durchgehende Schiffahrt nicht störte. Ebenso irrt das Berufungsgericht, wenn es meint, die vom Schleppzugführer anzuwendende Sorgfalt habe derjenigen eines Querfahrers entsprochen. Die Revision und das Berufungsgericht haben an die Pflichten eines auf einer Reede zu Tal wendenden Schleppzugführers zu hohe Anforderungen gestellt.

Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Das Wendemanöver des beklagten Schleppzugführers war keine Querfahrt, auch dann nicht, wenn der Schleppzug im Zuge des Wendens vorübergehend den Strom für die durchgehende Fahrt sperrte. Das Wenden ist durch die Sondervorschriften der §§ 46 bis 48 RhSchPVO geregelt. Die Frage, ob das Wenden zugleich ein Überqueren des Stromes ( § 49 RhSchPVO) darstellt, taucht nur dann auf, wenn der Wendende querfahrend einen größeren Raum des Stromes in Anspruch nimmt, als für das Wenden unter den gegebenen Umständen erforderlich ist. Denn sonst würden die erweiterten Rechte, die der Aufdrehende ( § 46 RhSchPVO) und der auf einer Reede zu Tal Wendende (§§ 47 Nr. 2, 46 RhSchPVO) gegenüber dem sonst zu Tal Wendenden (§ 47 Nr. 1 RhSchPVO) und gegenüber dem Querfahrenden (§§ 49 Nr. 1, 47 Nr. 1 RhSchPVO) hat, nicht zum Zuge kommen. In jedem Falle muß, was die Revision verkannt hat, die durchgehende Schiffahrt eine Fahrtbehinderung in Kauf nehmen. Während aber beim Wenden zu Tal außerhalb der Reeden diese Fahrtbehinderung nicht wesentlich sein darf, ist das Aufdrehen und das Wenden zu Tal auf Reeden auch dann gestattet, wenn die durchgehende Schiffahrt wesentlich in ihrer Fahrt beeinträchtigt wird. Das ist im Gesetz dadurch zum Ausdruck gekommen, daf3 der außerhalb einer Reede zu Tal Wendende nicht verlangen kann, daß andere Fahrzeuge „unvermittelt" ihre Geschwindigkeit vermindern oder ihren Kurs ändern (§ 47 Nr. 1 RhSchPVO, vgl. BGH VersR 1962, 417, 418), während beim Aufdrehen und beim Wenden zu Tal auf einer Reede die anderen Fahrzeuge solche Maßnahmen treffen müssen, sofern sie nur „möglich" sind (§§ 46 Nr. 3, 47 Nr. 2 RhSchPVO), also auch dann, wenn die Maßnahmen unvermittelt getroffen werden müssen. Der Grund für diese bevorzugte Stellung der Aufdrehenden liegt darin, daß der Talfahrer, der aufdrehen will, im Gegensatz zum Bergfahrer, der wenden will, in der Regel nicht an der Stelle anhalten und warten kann; der auf einer Reede zu Tal Wendende wird deshalb bevorzugt, um den häufig starken Verkehr auf Reeden nicht zu behindern; es soll dem auf einer Reede zu Tal Wendenden nicht zugemutet werden, über Gebühr lange zu warten, was bei dem häufig starken Durchgangsverkehr der Fall sein würde (vgl. Kählitz, Verkehrsrecht auf Binnenwasserstraßen, RhSchPVO § 46 Anm. 7, § 47 Anm. 4, 7).

Da das Berufungsgericht feststellt, es spreche nichts dafür, daß der „B"-Schleppzug seinen Drehkreis größer gewählt habe als unbedingt notwendig gewesen sei, kommt die Anwendung der Vorschrift über die Querfahrt (§ 49 RhSchPVO) nicht in Frage (vgl. BGH VersR 1961, 881). Anzuwenden ist nach § 47 Nr. 2 RhSchPVO ausschließlich die Vorschrift des § 46 RhSchPVO. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts war das Wendemanöver des „B"-Schleppzuges auch dann zulässig, wenn der Talfahrer „A" gezwungen war, unvermittelt seine Geschwindigkeit zu vermindern und den Kurs zu ändern. Der Kapitän von „A" hätte daher diese Maßnahmen sofort und so nachdrücklich ergreifen müssen, als dies mit der Sicherheit seines Schiffes (die Gefährdung anderer Fahrzeuge kommt nach Sachlage nicht in Frage) vereinbar war; insbesondere hätte er die Geschwindigkeit so weit herabsetzen müssen, daß sie nicht höher war als für die Steuerfähigkeit seines Schiffes erforderlich. Der Schleppzugführer konnte seinerseits jedenfalls vom Beginn seines Wendemanövers an darauf vertrauen, daß der Talfahrer dieser Verpflichtung nachkommen und auch an den vom Schleppzugführer gesetzten Zeichen erkennen würde, daß er einen Schleppzug vor sich hatte, der zum Wenden ansetzte."