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II ZR 87/60 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Entscheidungsdatum: 15.02.1962
Aktenzeichen: II ZR 87/60
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Bei starkem seitlichen Winddruck kann Verwehungen von Kühnen nicht durch bloßen Ruderdruck, sondern nur durch genügende Verankerung begegnet werden. Ein etwaiger Schiffahrtsbrauch, wonach in Fällen des Zurückerwartens des Schleppbootes in kürzester Zeit bei einem Leerkahn auf zweiter Länge der Anker nicht gesetzt wird, kann nur gelten, wenn die Wetterlage eine solche Bequemlichkeit zuläßt.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 15. Februar 1962

(Rheinschiffahrtsgericht Duisburg Ruhrort/ Rheinschiffahrtsobergericht Köln)

II ZR 87/60


Zum Tatbestand:

Das der Klägerin gehörende, zu Tal fahrende MS „A" begegnete in Höhe des Duisburger Parallelhafens dem rechtsrheinisch zu Berg kommenden Boot „B" mit 3 Anhängen Backbord an Backbord. Dieser Schleppzug hatte abgestoppt, da von linksrheinisch her zwei Leerkähne durch starken Wind verweht worden waren, und zwar Kahn „C" (2000 t, 100 m lang) der Nebenintervenientin und der auf kurzen Uberkreuzdrähten hinter „C" hängende, den Beklagten gehörende Kahn „D" (1372 t, 80 m lang). Kahn „D" war mit seinem Achterschiff über die Stränge von „B" zum rechten Ufer verfallen.
Die Klägerin behauptet, daß zwischen dem Achterschiff von „D" und dem rechten Ufer nur noch etwa 20 m Platz gewesen sei. „A" habe deshalb nach dem rechten Ufer hin ausweichen müssen, dabei aber Schäden durch Grundberührung an Steuerbordseite erlitten.
Die Schadensersatzklage der Eignerin von „A" gegen die beklagten Eigner von „D" wird vor allem damit begründet, daß „C" und „D", als sie linksrheinisch vom Boot „E" bereits abgeworfen seien, es trotz erheblicher Windstärke aus Bequemlichkeit unterlassen hätten, sofort Anker zu setzen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Die Berufung wurde zurückgewiesen. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht sieht das Verschulden der Schiffsführung von „D", das für das Abtreiben (Verwehen) des Kahns und damit für die Grundberührung von „A" ursächlich war, darin, daß auf „D" die Anker entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nicht rechtzeitig gesetzt worden sind. Die hiergegen erhobenen Angriffe der Revision entbehren der Begründung.
Wenn die Revision meint, solchen Verwehungen habe durch Ruderdruck begegnet werden können, so läßt sie außer acht, daß bei starkem, seitlichem Winddruck auf große Flächen ein einzelner Anker durchgehen kann, eine Gefahr, die hier um so größer war, als die beiden großen Leerschiffe an einem einzigen Klippanker hingen. Dem kann nicht durch bloßen Ruderdruck, sondern nur durch genügende Verankerung der Kähne begegnet werden. Die Revision rügt weiter, das angefochtene Urteil habe sich mit einem von den Beklagten behaupteten Schiffahrtsbrauch nicht auseinandergesetzt, wonach in Fällen des Zurückerwartens des Schleppbootes in kürzester Zeit bei einem Leerkahn auf zweiter Länge der Anker nicht gesetzt werde. Auch diese Rüge ist unbegründet. Die Anhangkähne waren nicht, wie die Revision behauptet, „auf wenige Minuten" von dem Schlepper „E" abgelegt worden, sondern auf 1/2 Stunde, wie der Beklagte K. als Zeuge im Vorprozeß selbst angegeben hat. Im übrigen ist im angefochtenen Urteil ein solcher Brauch unterstellt, aber ausgeführt, daß das nur gelten könne, wenn die Wetterlage eine derartige Bequemlichkeit zulasse. Daß für die hier in Frage stehenden Wetterverhältnisse ein solcher Brauch nicht eingreifen kann, konnte das Berufungsgericht aus eigener Sachkunde entscheiden. Das Rheinschiffahrtsobergericht ist daher ohne Rechtsverstoß zu der Auffassung gekommen, daß auf „D" entweder sofort die Anker hätten gesetzt werden müssen oder daß jedenfalls sichergestellt werden mußte, daß im Falle der Gefahr sofort die sämtlichen Anker gesetzt werden konnten. In dem Unterlassen der erforderlichen Maßnahmen ist mit Recht ein Verstoß gegen die nautische Sorgfaltspflicht gesehen worden.
Ohne Rechtsirrtum hat schließlich das Berufungsgericht schon aus der Tatsache und der Art des Vergehens der beiden Kähne weit zum rechten Ufer hin den Schluß gezogen, daß die Anker auf „D" jedenfalls zu spät gesetzt worden sind. Hier liegt auch ein Verschulden des Matrosen vor, für das die Schiffseigner einzustehen haben (§ 3 BSchG).
Das Berufungsgericht führt aus, der Kapitän von „A" habe nicht im voraus wissen können, daß „B" abstoppen und „D" über seine Stränge gehen würde; letzteres sei aber nach der unwiderlegten Darstellung des Kapitäns von „A" erst geschehen, als sich „A" bereits in Höhe von „B" befunden habe. Hiernach war, als die durch „D" geschaffene Gefahr auf „A" erkannt werden konnte, für „A" weder ein Aufdrehen noch ein Ausweichen nach Backbord mehr möglich.
Die Revision hat in der mündlichen Verhandlung die Frage aufgeworfen, ob die Kosten des Vorprozesses in adäquatem Ursachenzusammenhang mit dem Unfallgeschehen stehen. Die Frage, die in den Tatsacheninstanzen nicht streitig war, ist zu bejahen (vgl. Wassermeyer, Der Kollisionsprozeß in der Binnenschiffahrt, 2. Aufl. S. 339 ff mit Nachweisen).