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II ZR 92/59 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 12.12.1960
Aktenzeichen: II ZR 92/59
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Die Vorschrift des § 70 Nr. 2 b Satz 1 (BSchSO), den Liegeplatz auf Kanälen „nach Möglichkeit in Fahrtrichtung rechts zu wählen", dient nicht dem Schutz der durchgehenden Schiffahrt und ist nicht als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen. Ein Schiffsführer muß über die Fahrwasserverhältnisse und über die allgemein zugelassenen Liegeplätze an einer Wasserstraße unterrichtet sein, bei denen durch stilliegende Schiffe das Fahrwasser verengt sein kann.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 12. Dezember 1960

II ZR 92/59

Zum Tatbestand:

Anfang Februar fuhr morgens gegen 6.30 Uhr bei Dunkelheit, aber sichtigem Wetter auf dem Mittellandkanal bei km 44,5 das von Osten kommende MS „B" mit seinem Steuerbordvorschiff gegen den Steuerbordbug des MS „A", das auf der Fahrt in östlicher Richtung auf dem durch Tafeln kenntlich gemachten Liegeplatz am Nordufer des Kanals festgemacht hatte.
Die Klägerin macht den an „A", die Beklagten machen widerklagend den an „B" entstandenen Schaden geltend. Schiffahrts- und Schiffahrtsobergericht haben der Klage stattgegeben, die Widerklage dagegen abgewiesen. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

A. Zum Verhalten der Besatzung von „A".

„A" lag, wie das Berufungsgericht feststellt, an einem allgemein zugelassenen, durch dreieckige weiße Tafeln gekennzeichneten Liegeplatz (§ 70 Nr. 2a BSchSO). Die Revisionskläger sind der Meinung, „A" hätte dort nicht liegen dürfen, da nach § 70 Nr. 2b Satz 1 der Liegeplatz „nach Möglichkeit in Fahrtrichtung rechts zu wählen" ist. Der Revisionsangriff ist nicht begründet. Die Worte „nach Möglichkeit" räumen dem Schiffsführer bei der Wahl des Liegeplatzes einen gewissen Ermessensspielraum ein. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, daß der Schiffsführer von „A" aus sachlichen und nicht ohne weiteres abwegigen Gründen sein Schiff in Fahrtrichtung links (Nordufer) stillgelegt hatte. Der letzte Liegeplatz am Südufer sei, wie im angefochtenen Urteil ausgeführt ist, belegt gewesen; wegen der vorgerückten Zeit und der Dunkelheit habe der Schiffsführer von „A" geglaubt, nicht weiterfahren zu dürfen; auch sei ihm bei den stürmischen Südwestwinden, die das mit Deckladung versehene Schiff gegen das Nordufer drückten, ein Anlegen am Nordufer zweckmäßiger erschienen.
Wenn auch die Rechtsfahrt nicht mehr vorgeschrieben ist (Kählitz, Verkehrsrecht auf Binnenwasserstraßen, BSchSO § 42 Anm. 2), so wird doch auf Kanälen grundsätzlich rechts gefahren (Kählitz § 38 Anm. 5) und es erleichtert daher die An- und Abfahrt bei Liegeplätzen, wenn der Liegeplatz in Fahrtrichtung rechts gewählt wird. Hat jedoch ein Schiff einmal seinen Liegeplatz eingenommen, so ist es während des Stilliegens gleichgültig, ob es rechts oder links seiner Fahrtrichtung liegt. Während eines solchen Stilliegens dient die Vorschrift nicht dem Schutze der durchgehenden Schifffahrt, so daß die „B"-Partei sich auch dann nicht auf die Verletzung eines Schutzgesetzes (§ 823 Abs. 2 BGB) durch die „A"-Partei berufen könnte, wenn letztere schuldhaft gegen diese Vorschrift verstoßen hätte.
Die Revisionskläger beanstanden ferner, daß der Schiffsführer von „A" entgegen der Vorschrift des § 70 Nr. 2b Satz 2 sein Fahrzeug nicht bis zum Ende des sich von km 43,975 bis zu km 44,765 erstreckenden Liegeplatzes vorgezogen, sondern bei km 44,5 angelegt hatte.
Auch dieser Revisionsangriff kann keinen Erfolg haben. Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, daß diese Vorschrift nur den Zweck hat, später ankommenden Schiffen einen Liegeplatz freizuhalten, aber nicht dem Schutz vorbeifahrender Schiffe dient. Ein Verschulden des Schiffsführers von „A" kann auch nicht darin gesehen werden, daß er nicht erwogen hat, das Licht seines Schiffes könne für einen Talfahrer durch die Brücke verdeckt sein. Trotz des Vorhandenseins der Brücke war das Nordufer östlich und westlich der Brücke als Liegeplatz gekennzeichnet; der Schiffsführer von „A" konnte darauf vertrauen, daß ein Talfahrer seinen Kurs in genügendem Abstand vom Liegeplatz nehmen werde, zumal die Brücke von dem Bug seines Schiffes mindestens 110 m entfernt war.
Nach § 67 müssen Fahrzeuge ihren Liegeplatz so nahe am Ufer wählen, wie es ihr Tiefgang und die örtlichen Verhältnisse gestatten; sie dürfen keinesfalls die Schifffahrt behindern. Die Behauptung der Revision, „A" sei nicht gestreckt am Ufer gelegen, stellt einen unzulässigen Revisionsangriff dar. Denn das Berufungsgericht hat auf Grund der Beweisaufnahme festgestellt, „A" sei gestreckt so nahe an das Nordufer herangebracht worden, wie es bei der Böschung und dem Tiefgang des Schiffes möglich gewesen sei.
Natürlich stellt jeder Liegeplatz, der einen Teil des Fahrwassers in Anspruch nimmt, eine gewisse Behinderung der Schiffahrt dar. Das Gesetz verbietet aber nicht eine solche zwangsläufige Behinderung; vielmehr darf ein stilliegendes Schiff nur kein solches Hindernis bilden, daß die durchgehende Schiffahrt bei sachgemäßem nautischen Verhalten gefährdet werden könnte.

B. Zum Verhalten der Besatzung von „B".

Mit Recht sieht das Berufungsgericht ein für den Unfall ursächliches Verschulden des Schiffsführers von „B" darin, daß dieser, als er das Licht von „A" sah, der irrigen Meinung war, „A" liege am Südufer, und daher Steuerbordruder gab. Der Schiffsführer muß die Fahrwasserverhältnisse kennen (§ 2 Nr. 2) und daher, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, auch über die allgemein zugelassenen Liegeplätze unterrichtet sein, bei denen durch stilliegende Schiffe das Fahrwasser verengt sein kann. Hätte der Schiffsführer des „B" den Liegeplatz am Nordufer gekannt, so wären bei ihm und seinem Matrosen gar nicht die Zweifel über die Lage von „A" aufgekommen, da sich am Südufer kein Liegeplatz befand. Übrigens hätte der Schiffsführer, worauf das Schiffahrtsgericht zutreffend hingewiesen hat, bei genügender Aufmerksamkeit auch an der den Beginn des Liegeplatzes kennzeichnenden weißen Tafel und an den vorhandenen Pollern den am Nordufer befindlichen Liegeplatz jedenfalls dann erkennen können, wenn er das Ufer gelegentlich mit seinem Scheinwerfer angeleuchtet hätte.
Im übrigen macht das Berufungsgericht mit Recht dem Schiffsführer von „B" zusätzlich zum Vorwurf, daß er seinen Scheinwerfer nicht gebraucht hat. „B" hat die Fahrt um 6.15 Uhr angetreten, der Unfall ereignete sich gegen 6.30 Uhr, Sonnenaufgang war um 8.08 Uhr. Auf dem Mittellandkanal ist im Februar eine sogenannte verlängerte Tagesfahrt ab 6 Uhr morgens, soweit sie in die Zeit von einer Stunde vor Sonnenaufgang, hier also in die Zeit bis 7.08 Uhr fällt, nur erlaubt, wenn das Fahrzeug mit einem beweglichen Scheinwerfer ausgerüstet ist, der es ermöglicht, das Ufer anzuleuchten, wobei der Scheinwerfer nur, soweit unbedingt erforderlich, zu benutzen ist. Mit Recht zieht das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revisionen aus dem Umstand, daß für die Fahrt in der hier fraglichen Zeit von 6.15 Uhr bis 6.30 Uhr das Vorhandensein eines Scheinwerfers vorgeschrieben ist, den Schluß, daß dieser im Bedarfsfalle auch benutzt werden mußte.