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U 2/98 BSch - Oberlandesgericht (Schiffahrtsobergericht)
Entscheidungsdatum: 22.09.1998
Aktenzeichen: U 2/98 BSch
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Abteilung: Schiffahrtsobergericht

Leitsätze:

1) Das Gesetz zur Änderung der Haftungsbeschränkung in der Binnenschiffahrt vom 25.08.1998 (BGBL 1, 2485), dessen Kernstück das Ersetzen des in § 4 BinSchG bisheriger Fassung geregelten Systems der dinglich-beschränkten Haftung durch das System der persönlichen, jedoch summenmäßig beschränkten Haftung bildet, enthält keine Übergangsregelungen.

2) Der in Art 170 EGBGB enthaltene allgemeine Grundsatz, daß Schuldverhältnisse in bezug auf Inhalt und Wirkung dem Recht unterstehen, das zur Zeit der Verwirklichung ihres Entstehungstatbestandes galt, ist auch auf die Frage der Haftungsbeschränkung nach den Vorschriften des BinSchG anzuwenden.

3) Zur Geltendmachung von Nutzungsverlust und von Expertenkosten.

4) Zur Erstattungsfähigkeit von Anwaltsgebühren bei teils außergerichtlicher, teils gerichtlicher Schadensregulierung.

 

Urteil des Oberlandesgerichts (Schiffahrtsobergerichts) Karlsruhe

vom 22.9.1998

U 2/98 BSch

(Schiffahrtsgericht Mainz)

Zum Tatbestand:

 Die Klägerin, Floßkasko-Versicherer des dem niederländischen Partikulier K gehörenden Kranmotorschiffs (KMS) „R" fordert aus übergegangenem Recht von der Beklagten, Eignerin des Tankmotorschiffs (TMS) „M", restlichen Schadensersatz aus einer Schiffshavarie. TMS „M" hat am 24.10.1995 das im Oberwasser der Mainschleuse K stilliegende KMS angefahren.
Unter den Parteien war bereits vorgerichtlich unstreitig, daß die Schiffsführung des TMS das Alleinverschulden an der Havarie trägt und damit den am KMS entstandenen Schaden dem Grunde nach zu ersetzen hat. Auf die Forderungen der Klägerin leistete die Beklagte im Juli 1996 einen Betrag von DM 15.600,00 zum Ersatz des Kaskoschadens und im August 1996 einen weiteren Betrag von DM 12.500,00.
Die Klägerin hat im ersten Rechtszug vorgetragen, beide Zahlungen seien zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem sich die Beklagte bereits in Zahlungsverzug befunden habe. Danach seien noch folgende Positionen zur Zahlung offen: Nutzungsverlust für 8 1/2 Ausfalltage gemäß kontradiktorischer Schadenstaxe abzüglich gezahlter DM 12.500,00, Expertenkosten, Zinsen sowie Rechtsanwaltskosten, insgesamt DM 12.490,40.

Die Beklagte, die weitere Schadensersatzansprüche abweist, hat vorgetragen, wegen der Reparatur des Schiffes seien gemäß der kontradiktorischen Schadenstaxe nur 8 Tage anzusetzen. Beanstandet werde auch die Höhe des geltend gemachten Nutzungsverlustes. Bei den geltend gemachten Expertenkosten handle es sich um Interventionskosten, die zumindest zum Teil im Interesse der Versicherung entstanden und deshalb nicht erstattungsfähig seien. Verzug sei nicht eingetreten. Daher seien auch die Rechtsanwaltsgebühren nicht erstattungspflichtig. Im übrigen sei die Geschäftsgebühr entsprechend § 118 Abs. 2 BRAGO auf die Kosten dieses Verfahrens anzurechnen und könne nicht gesondert erstattet verlangt werden.

Das Schiffahrtsgericht hat die Beklagte verurteilt, DM 7.270,40 nebst 4 % Zinsen aus DM 7.060,40 seit 1.8.1996 zu zahlen und die weitergehende Klage abgewiesen. Die Berufung der Beklagten hatte teilweise Erfolg. Im übrigen wurden die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen.

Aus den Entscheidungsgründen:

 „1. Der Klägerin steht gegen die Beklagte gemäß § 823 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. § 1.04 BinSchStrO, § 92 b BinSchG wegen der Havarie vom 24.10.1995 bei Main-km 38 ein restlicher Schadensersatzanspruch in Höhe von DM 7.110,40 zu.

Die Beklagte haftet, da sie ihr Schiff in Kenntnis der erhobenen Ansprüche auf neue Reise ausgesandt hat, nicht nur dinglich mit TMS „M" gemäß §§ 3,4 BinSchG, sondern auch persönlich im Rahmen von § 114 BinSchG.

Auf den vorliegenden Fall sind die Vorschriften des BinSchG in der bis zum 31. August 1998 geltenden Fassung anzuwenden. Das Gesetz zur Änderung der Haftungsbeschränkung in der Binnenschiffahrt vom 25.08.1998 (BGBL 1, 2485), dessen Kernstück das Ersetzen des in § 4 BinSchG bisheriger Fassung geregelten Systems der dinglich-beschränkten Haftung durch das System der persönlichen, jedoch summenmäßig beschränkten Haftung bildet, trat am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Übergangsregelungen enthält das Gesetz nicht.

Treten frühere Gesetzesbestimmungen auf Grund eines späteren Gesetzes außer Kraft, so besagt das noch nichts darüber, ob das neue Recht auch für die unter dem früheren Recht begründeten Rechtsverhältnisse gilt. Eine solche Wirkungskraft auf die früher entstandenen Rechtsverhältnisse - vom Anfang ihrer Entstehung (echte Rückwirkung) oder vom Inkrafttreten des neuen Rechtes an (unechte Rückwirkung, sofortiges Einwirken) - ist grundsätzlich nicht anzunehmen; sie muß ausdrücklich bestimmt werden oder doch eindeutig dem neuen Gesetz entnommen werden können (BGHZ 3, 75, 84 m. w. N.). Fehlt es daran, so kommen die allgemeinen Grundsätze über die zeitliche Geltung der Gesetze zur Anwendung (vgl. BGHZ 9, 101). Hierzu gehört der in Art. 170 EGBGB ausgesprochene, über das Anwendungsgebiet des Einführungsgesetzes hinaus allgemein anerkannte Grundsatz, daß Schuldverhältnisse in Bezug auf Inhalt und Wirkung dem Recht unterstehen, das zur Zeit der Verwirklichung ihres Entstehungstatbestandes galt (vgl. BGHZ 10, 391, 394; 44, 192, 194).

Der Senat geht davon aus, daß der Bundesgesetzgeber in Kenntnis der allgemein Grundsätze bewußt auf eine von dem in Art. 170 EGBGB enthaltenen Rechtsgedanken abweichende Regelung in dem Gesetz zur Änderung der Haftungsbeschränkung in der Binnenschiffahrt vom 25.08.1998 verzichtet hat.

2. Der Kaskoschaden in Höhe von DM 15.600,00 der in der kontradiktorischen Schadenstaxe vom 15.11.1995 festgelegt wurde, wurde bereits vorgerichtlich, allerdings erst nach Inverzugsetzung, durch die Beklagte beglichen. Verzugsbegründend war indessen nicht bereits das Schreiben der Klägerin vom 07.12.1995, da dieses noch keine Mahnung i.S.d. § 284 Abs. 1 BGB darstellt. Diese Qualität hatte erstmals das Schreiben der klägerischen Prozeßbevollmächtigten vom 26.03.1996 mit Fristsetzung zum 15.04.1996. Verzugsbeginn war daher der 16.04.1996.

3. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Ersatz von Nutzungsverlust für die Dauer von 8 1/2 Tagen zu jeweils DM 1.900, mithin insgesamt ein Betrag von DM 16.150 zu.

-a) Durch eine kontradiktorische Schadenstaxe werden die zur Wiederherstellung des Schiffes erforderlichen Kosten mit für den nachfolgenden Schadensersatzprozeß positiv wie negativ bindender Wirkung festgelegt (Senat NZV 1994, 111; Wussow/Kürschner Unfallhaftpflichtrecht 14. Auf. TZ 1218 m.w.N.). Dies gilt grundsätzlich auch für die Anzahl der Arbeitstage für die Reparatur eines beschädigten Schiffes (vgl. Senat Urteil vom 04.04.1978 - U 7/76 BSch -; Wassermeyer Der Kollisionsprozeß in der Binnenschiffahrt 4. Aufl. S. 361). Feststellungen der Taxe sind jedoch nur soweit bindend, soweit sie vorbehaltlos von den Experten unterschrieben wurden. Was die Anzahl der Reparaturarbeitstage betrifft, so hat einerseits der für die Klägerin als Interessentin tätig gewordene Experte L eine Reparaturzeit von 5 1/2 Arbeitstagen in die schriftliche Taxe aufgenommen, während der für die Beklagte als Interessentin tätig gewordene Experte W in seinem Vermerk festhielt, daß er von fünf Arbeitstagen ausging. Damit ließ die Beklagte einen Vorbehalt erklären mit der Folge, daß hinsichtlich der Anzahl der Arbeitstage eine bindende Wirkung nicht eintrat.

Bei seiner Vernehmung als Zeuge hat der Experte L ausgeführt, weshalb er neben den zunächst veranschlagten fünf Arbeitstagen noch einen weiteren halben Tag für erforderlich hielt: Das Schiff sei bereits am Vortag mittags auf der Werft gewesen und dabei sei mit der Reparatur bereits begonnen worden, als man die fünf weiteren Arbeitstage, die dann tatsächlich gar nicht ausgereicht hätten, kalkuliert habe. Zu diesen 5 1 /2 Arbeitstagen, zu denen ein weiterer Reparaturtag aus den vom Schiffahrtsgericht aufgeführten Gründen, die der Senat teilt, nicht zu Lasten der Beklagten anzusetzen ist, kommen (2 x 1 1/2 =) 3 Arbeitstage für Hinund Rückfahrt des KMS von seiner Arbeitscinsatzstelle zur Werft.

b) Der Senat teilt die Ausführungen des Schiffahrtsgerichts zur Höhe des Nutzungsverlustsatzes von DM 1.900 pro Tag. Entgegen der mit der Berufung wiederholten Auffassung der Beklagten ist für das Kran-Motorschiff der in § 32 BinSchG (in der bis zum Inkrafttreten des Transportrechtsreformgesetzes vom 25. Juni 1998 - BGBL I, 1588, durch das § § 27 bis 76 BinSchG aufgehoben wurden - geltenden Fassung) für Trocken- und Tanktransportschiffe vorgesehene Satz nicht anwendbar. Die aufgrund der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme ermittelte Satz zu dem Gewinnausfall, den der Nutzungsverlust darstellt, entspricht den konkreten Gegebenheiten. Geschuldet ist entgangener Umsatz abzüglich ersparter Unkosten, den das Schiff während der Reparaturzeit und der Fahrt von und zur Werft erzielt hätte (vgl. Wussow/ Kürschner a.a.0. TZ 1217 m.w.N.). Der Nutzungsverlust kann konkret oder abstrakt berechnet werden. Vorliegend wurde die konkrete Berechnungsweise gewählt, indem ermittelt wurde, welche Einkünfte mit dem Kranmotorschiff erzielt worden wären, wenn es nicht havariebedingt ausgefallen wäre. Der Zeuge M hat bei seiner Vernehmung bestätigt, daß aufgrund einer - vorgelegten - schriftlichen Vereinbarung vom 15.02.1995 der Mietsatz ohne Treib- und Schmierstoffe für das Kranmotorschiff DM 190 pro Stunde betrug. Das Schiff war durchschnittlich zehn Stunden am Tag im Einsatz gewesen.

4. Unbegründet sind die Berufungsangriffe der Beklagten gegen die Zuerkennung des Betrages von DM 1.592,80, die der Experte L für seine Tätigkeit in Rechnung gestellt hat. Eine Partei kann im Zusammenhang mit einer Havarie angefallene Expertenkosten nicht ausschließlich im Kostenfestsetzungsverfahren geltend machen. Vielmehr können derartige Aufwendungen als adäquate Folge der Kollision eine selbständige Hauptforderung im Rechtsstreit darstellen (so zutreffend OLG Köln Urteil vom 11.05.1973 - 3 U 119/72-m.w.N.).
Dies gilt insbesondere im vorliegenden Verfahren, in dem die Haftung der Beklagten dem Grunde nach unstreitig ist und es nur um die Höhe einzelner Schadensersatzpositionen geht....

5. Die erstinstanzlich zuerkannten Zinsen in Höhe von DM 210 werden von der Beklagten mit der Berufung nicht substantiiert angegriffen. Im Ergebnis ist dieser Betrag auch nicht zu beanstanden, allerdings stehen dem Kläger 4 % Verzugszinsen erst für die Zeit ab 16.04.1996 zu (vgl. oben Ziffer 2)....

6. Auf die Berufung der Beklagten, mit der das gesamte erstinstanzliche Urteil angegriffen wurde, war ein Teil der geltend gemachten und zuerkannten Rechtsanwaltskosten abzuerkennen, da die Forderung insoweit unschlüssig ist.

Da die Beklagte für die Havarie aus Delikt haftet, bedurfte es keiner Inverzugsetzung. Anwaltskosten für die Rechtsverfolgung des Geschädigten sind Teil des Schadensersatzanspruches aus §§ 823 Abs. 1, 249 BGB.

Hinsichtlich der Berechnung der Anwaltsgebühren bei teils außergerichtlicher, teils gerichtlicher Schadensregulierung ist jedoch zwischen dem Innenverhältnis der Klägerin zu ihrem Prozeßbevollmächtigten und dem Außenverhältnis der Klägerin gegenüber der Beklagten zu differenzieren. Die vom Mandanten geschuldeten Anwaltsgebühren berechnen sich nach dem Wert der Ansprüche, mit deren Durchsetzung der Anwalt beauftragt war. Welchen Teil dieser Anwaltskosten der Schädiger dem Geschädigten ersetzen muß, richtet sich im Falle einer streitigen Schadensregulierung endgültig nach der Kostenentscheidung des Landgerichts. Wurde ein Teil der Schadensersatzansprüche außergerichtlich erledigt, dann berechnen sich die insoweit vom Schädiger zu ersetzenden Anwaltskosten nach dem Wert der erledigten Ansprüche, die Anwaltskosten des streitigen Verfahrens nach dem Wert der in diesem Verfahren anhängigen Ansprüche. Eine Anrechnung dieser Kosten aufeinander kommt nicht in Betracht (BGH AnwBL 1969, 15; Wussow/Kürschner Unfallhaftpflichtrecht a.a.0. TZ. 2319 m.w.N.)....

Soweit die Klägerin darüber hinausgehende Ansprüche geltend gemacht hat, die zu begleichen die Beklagte außergerichtlich nicht bereit war und die damit Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits wurden, wird die Frage der Erstattungsfähigkeit endgültig durch die im vorliegenden Prozeß ergehende Kostenentscheidung geregelt. Für Beträge, die der Klägerin abgesprochen werden, kann sie von der Beklagten nicht Ersatz der darauf entfallenden anteiligen Anwaltskosten verlangen. Daher sind die einzelnen Teile des Gesamtgegenstandswertes getrennt für den vorgerichtlichen Teil (DM 28.100,00) und für den gerichtlichen Teil (DM 12.280,04) anzusetzen...."

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 1998 - Nr. 24 (Sammlung Seite 1715 f.); ZfB 1998, 1715 f.