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ZR 112/58 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Schiffahrt)
Entscheidungsdatum: 07.12.1959
Aktenzeichen: ZR 112/58
Entscheidungsart: Urteil
Sprache: Deutsch
Gericht: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Abteilung: Berufungsinstanz Schiffahrt

Leitsatz:

Anscheinsbeweis für nautisches Verschulden des Schleppzugführers, wenn der Anhang eines Talschleppzuges in das einem entgegenkommenden Bergzug zustehende und von diesem benötigte Fahrwasser gerät.

 

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 7. Dezember 1959

ZR 112/58


Zum Tatbestand:

Der Kahn A der Klägerin fuhr als einziger Anhang des Bootes B unterhalb der Baerler Brücke linksrheinisch zu Berg, während sich rechtsrheinisch andere Bergfahrer und Stillieger befanden. Zwischen den rechts- und linksrheinischen Bergfahrern kam das der Beklagten zu 1 gehörende, vom Beklagten zu 2 geführte Boot C mit zwei Anhängen auf 1. Länge und einem Anhang D auf 2. Länge zu Tal. Diesem Schleppzug folgte Boot E mit zwei nebeneinandergemehrten Kähnen F (steuerbords) und G (backbords). Kahn A wich vor dem in den Hang fallenden Schleppzug C, insbesondere vor Kahn D, zwischen die Kribben des linksrheinischen Ufers aus. Um ein Auflaufen zu verhindern, setzte Kahn A die Heckanker, fiel sodann jedoch auf den Ankern über Backbord herum. Quer zum Strom stieß er mit Anhang G zusammen, nachdem Schleppzug C ohne Unfall vorbeigekommen war.
Für die am Kahn A und am Kahn G erlittenen Schäden verlangt der Klüger Schadensersatz von den Beklagten mit der Begründung, daß der Kapitän des Bootes C seinen Kurs zu sehr nach dem linksrheinischen Ufer verlegt habe und sich Kahn A zur Vermeidung einer Kollision zwischen die Kribben habe flüchten müssen. Die folgenden Ereignisse seien eine zwangsläufige Folge dieser Flucht von A bzw. des nautischen Fehlers von C gewesen.
Das Rheinschiffahrtsgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das Rheinschiffahrtsobergericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin erfolgte Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

 

Aus den Entscheidungsgründen:

Im angefochtenen Urteil ist festgestellt, daß der „C"-Schleppzug, insbesondere der Kahn „D", in den Hang gefallen und der Kahn der Klägerin vor dem Schleppzug zwischen die Kribben ausgewichen ist. Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, die Tatsache, daß der Schleppzug an der Unfallstelle in den Hang gefallen sei, deute nicht zwingend darauf hin, daß dadurch die Gefahr eines Zusammenstoßes mit dem zu Berg fahrenden Kahn der Klägerin entstanden sei. Diese Tatsache genügt entgegen der Ansicht der Revision auch in Verbindung mit dem Ausweichen des klägerischen Kahns zwischen die Kribben nicht für die Annahme eines Beweises des ersten Anscheins für eine schuldhaft falsche Fahrweise des Talzuges, da der klägerische Kahn auch infolge unrichtiger Beurteilung der Sachlage ausgewichen sein kann, ohne daß begründeter Anlaß für die Annahme der Gefahr eines Zusammenstoßes bestand. Eine solche Gefahr war aber dann gegeben, wenn der Talfahrer durch das Verhalten seines letzten Anhangkahnes in die Fahrseite des Gegenkommers geraten ist. Dem Talfahrer würde eine nautisch fehlerhafte Fahrweise nicht erst dann vorzuwerfen sein, wenn mit Sicherheit festgestellt werden könnte, daß ohne das Ausweichen des klägerischen Kahns zwischen die Kribben es zum Zusammenstoß gekommen wäre, sondern bereits dann, wenn durch die Fahrweise des Talzuges bei der Schiffsführung des klägerischen Kahns die objektiv begründete Befürchtung der Gefahr eines Zusammenstoßes entstehen mußte. Dabei ist zu beachten, daß der Führer des klägerischen Kahnes bei seinem Entschluß über die zu ergreifenden Maßnahmen den die Fahrweise des Talzuges erschwerenden starken Hang und Seitenwind in Rechnung stellen mußte. Das Berufungsgericht hätte daher das Ergebnis der Beweisaufnahme und den eigenen Vortrag der Beklagten dahin prüfen müssen, ob die Vorbeifahrt sich nicht in einem solch nahen Abstand vollzogen habe, daß die Gefahr eines Zusammenstoßes bestand. Hierüber fehlt es im angefochtenen Urteil an einer ausreichenden Prüfung.

Wenn das Berufungsgericht zu der Feststellung kommen sollte, daß der Talzug mit seinem letzten Anhang in gefahrvoller Weise in das dem Bergzug zustehende und von diesem benötigte Fahrwasser geraten ist, so ist der Talfahrer nautisch fehlerhaft gefahren. Da der Führer des Talzuges bei seinen nautischen Maßnahmen sowohl den starken Hang als auch den starken Seitenwind in Rechnung stellen mußte, sich also hierauf zu seiner Entlastung nicht berufen kann, spricht ein Anscheinsbeweis für sein nautisches Verschulden, wenn sein letzter Anhangkahn in das falsche Fahrwasser geraten ist"(Vortisch-Zschucke, BSchG, 2, Aufl. § 92 Anm. 8dr Schups, Seerecht, 2. Aufl. § 735 Anm. 78; BGHZ 6, 169; OLG Hamburg VersR 1959, 849.)

Es kann schon fraglich erscheinen, ob die Beklagten diesen Anscheinsbeweis allein dadurch entkräften könnten, daß sie nachweisen, ihr Talzug hätte wegen der rechtsrheinischen Bergfahrer keinen anderen Kurs einhalten können, oder ob nicht darüber hinaus auch der Nachweis verlangt werden müßte, daß es ihnen weder durch Langsamtun noch durch Anhalten möglich gewesen wäre, dem „B"-Zug eine gefahrlose Vorbeifahrt (§ 37 RhSchPVO) zu ermöglichen. Eine Prüfung dieser Frage dürfte sich indessen erübrigen. Denn wie schon das Rheinschiffahrtsgericht zutreffend angenommen hat, haben die Beklagten nicht bewiesen, daß ihr Talzug nicht weiter nach Steuerbord habe fahren können. Die Ausführungen im angefochtenen Urteil lassen nicht erkennen, daß das Rheinschiffahrtsobergericht zu der Überzeugung gekommen sei, der „C"-Zug habe nicht weiter nach Steuerbord fahren können. Wenn das Berufungsgericht ausführt, zum mindestens stehe nicht fest, daß ein besserer Kurs als der gefahrene in der gegebenen Situation möglich gewesen sei, und wegen der Unmöglichkeit der Aufklärung dieses Sachverhaltes die Beklagten als entlastet erachtet, so liegt darin eine Verkennung der Grundsätze des Anscheinsbeweises; denn die Tatsachen, aus denen die Möglichkeit eines unverschuldeten Geschehensablaufs vom Entkräftigungspflichtigen hergeleitet wird, müssen voll bewiesen sein (BGHZ 6, 171). Kommt das Berufungsgericht bei der hiernach vorzunehmenden nochmaligen Überprüfung zu der Überzeugung, daß die Schiffsführung von „C" das Ausweichen des klägerischen Kahnes zwischen die Kribben und damit den Unfall verschuldet hat, so wird die Frage des ursächlichen Mitverschuldens der Besatzung des Kahnes der Klägerin zu prüfen sein (§ 92 BSchG, §§ 736, 738 HGB, §§ 823, 254 BGB). Das Berufungsgericht hat in dieser Richtung ausgeführt: Lediglich der Schiffer des Kahnes der Klägerin sei an Deck gewesen und am Ruder gestanden, während sich die beiden Matrosen in ihren Wohnungen aufgehalten hätten. Eine mit den Verhältnissen vertraute Besatzung habe sich aber unter keinen Umständen so verhalten dürfen. Sie hätte den starken Hang, den starken Seitenwind vom rechtsrheinischen Ufer her und den durch die an beiden Ufern zu Berg fahrenden Schiffe eingeengten Raum in Rechnung stellen und mit der Notwendigkeit schwieriger Manöver rechnen müssen. Es habe deshalb jeder Mann an Deck gehört, damit allen Lagen rechtzeitig hätte begegnet werden können. Trotz des Ausweichens zwischen den Kribben hätte der Unfall verhindert werden können, wenn außer den Achterankern auch die Buganker gesetzt worden wären.

Die Ursächlichkeit dieses Verschuldens für den Unfall ist vom Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum festgestellt. Wenn der Beklagte zu 2 durch fehlerhafte Fahrweise den Kahn der Klägerin zum Beigehen zwischen den Kribben gezwungen haben sollte, so daß der Kahn nicht nur in die Gefahr des Auflaufens auf die vor ihm befindliche Kribbe geriet, sondern auch wegen des notwendig gewordenen Abstoppens seines Bootes seine eigene Steuerfähigkeit verlor, so wird darin ein erhebliches Verschulden des Beklagten zu 2 zu erblicken sein. Demgegenüber dürfte das zu späte Erscheinen des Matrosen S. nicht so sehr ins Gewicht fallen. Wenn auch sein Aufenthalt unter Deck bei der schwierigen Verkehrslage ein nicht gerade geringes Maß von Sorglosigkeit der Besatzung des klägerischen Kahnes erkennen läßt, so wird bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens doch zu prüfen sein, ob nicht das Verschulden des Beklagten zu 2 in erheblichem Maße überwiegt.