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II ZR 94/78 - Bundesgerichtshof (Berufungsinstanz Rheinschiffahrt)
Date du jugement: 05.02.1979
Numéro de référence: II ZR 94/78
Type de décision: Urteil
Language: Allemande
Juridiction: Bundesgerichtshof Karlsruhe
Section: Berufungsinstanz Rheinschiffahrt

Leitsatz:

Ein aus einem Hafen oder einer Nebenwasserstraße ausfahrendes Schiff, das den Kurs eines auf der Hauptwasserstraße herankommenden Fahrzeugs kreuzen will, muß die Ausfahrt unterlassen, wenn damit auch nur das geringste Risiko verbunden ist.

Urteil des Bundesgerichtshofes

vom 5. Februar 1979

 II ZR 94/78

(Rheinschiffahrtsgericht Mannheim, Rheinschiffahrtsobergericht Karlsruhe)


Zum Tatbestand:

Als TMS L des Klägers Mitte Oktober gegen 20.30 Uhr aus dem Neckar in den Rhein zu einer Talreise ausfuhr, begegnete ihm das der Beklagten zu 1 gehörende und vom Beklagten zu 2 geführte MS J, das etwa 40 bis 50 m aus dem rechten Ufer zu Berg fuhr und das weiße Funkellicht zeigte. Deshalb schaltete auch TMS L das Funkellicht ein. Beim Versuch, an der Steuerbordseite von MS J vorbeizufahren, stießen beide Fahrzeuge zusammen.

Der Kläger verlangt Ersatz seines Kollisionsschadens in Höhe von ca. 87 000,- DM mit der Behauptung, daß MS J seinen Kurs nach Steuerbord geändert und diesen entgegen der eigenen Kursweisung beibehalten habe.

Die Beklagten führen die Kollision darauf zurück, daß TMS L die Ausfahrt aus dem Neckar in zu geringer Entfernung von MS J durchgeführt und daher dessen Steuerbordseite nicht mehr habe freifahren können.

Beide Vorinstanzen haben die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision der Beklagten ist der Klage dem Grunde nach nur zu 1/3 stattgegeben und die weitergehende Klage abgewiesen worden.

Aus den Entscheidungsgründen:

„...
Das Rheinschiffahrtsobergericht hat mit Recht ein Verschulden des Beklagten zu 2 an dem Schiffszusammenstoß bejaht. Dieser konnte aus dem Einschalten des weißen Funkellichts auf TMS L in Verbindung mit dem nach linksrheinisch gerichteten Kurs dieses Fahrzeugas ohne weiteres erkennen, daß dessen Führung die Weisung des MS J, an der Steuerbordseite vorbeizufahren (vgl. § 6.04 Nr. 3 RheinSchPolVO), auf ihr Fahrzeug bezog und befolgen wollte. Dann war es aber nautisch falsch, den rechtsrheinischen Kurs des MS J nicht beizubehalten, zumal das Fahrzeug das weiße Funkellicht weiter zeigte. Selbst wenn jedoch der Beklagte zu 2 wegen des oberhalb der Neckarmündung stärker in den Rhein vorspringenden rechten Ufers genötigt gewesen sein sollte, von dem bisherigen Kurs des von ihm geführten MS J etwas nach Steuerbord abzugehen, so durfte er sein Fahrzeug keinesfalls so stark zum linken Ufer hin steuern, daß er mit diesem in der Mitte des an der Unfallstelle etwa 280 m breiten Fahrwassers in den Kurs des TMS L geriet.
...
Mit Erfolg wendet sich die Revision hingegen gegen die Ansicht des Rheinschiffahrtsobergerichts, die Führung des TMS L habe den Schiffszusammenstoß nicht mitverschuldet.
...
Die Ausführungen des Berufungsgerichts tragen nicht hinreichend dem Grundsatz Rechnung, daß ein Schiff, das aus einem Hafen oder aus einer Nebenwasserstraße ausfahren und dabei - wie hier - den Kurs eines auf der Hauptwasserstraße herankommenden Fahrzeugs kreuzen will, die Ausfahrt unterlassen muß, wenn damit auch nur das geringste Risiko verbunden ist (vgl. BGH, Urt. v. 20. 2. 75 - II ZR 152/731, LM RheinschiffahrtpolizeiVO 1970 Nr. 3 = VersR 1975, 515, 516):
Zur Unfallzeit war es dunkel, wenn auch klar. Erfahrungsgemäß sind bei Dunkelheit Entfernung, Geschwindigkeit und Kurs eines anderen Fahrzeugs oft nicht genau zu bestimmen. Insoweit kann es daher leicht zu Fehleinschätzungen der Lage und in deren Folge zu nautisch falschen Maßnahmen einzelner Schiffsführungen kommen. Das ist vor allem dort leicht möglich, wo ein Fahrzeug bei Dunkelheit aus einem Hafen oder einer Nebenwasserstraße ausfahren und anschließend den Kurs eines die Hauptwasserstraße benutzenden Schiffes kreuzen will. Hier liegt die Gefahr von Mißverständnissen besonders nahe, sofern nicht von vornherein eindeutig klar ist, wohin sich das ausfahrende Fahrzeug wenden will und wie eine sich der Ausfahrt anschließende Begegnung durchgeführt werden soll. Eine solche Klarheit bestand im Streitfall aber nicht. TMS L gab kein Ausfahrtsignal und schaltete das weiße Funkellicht erst während des Passierens der Mündungslinie ein. Deshalb war für den Bergfahrer zunächst nicht auszumachen, ob TMS L den Neckar noch vor seiner Vorbeifahrt an der Mündung verlassen werde und in welche Richtung es danach zu fahren beabsichtige. Hinzu kommt, daß es sich bei der Neckarmündung um eine „bekannt unübersichtliche Ausfahrt" handelt (vgl. S. 2 des Berichts der Wasserschutzpolizei vom 24. November 1975). Hier ist insbesondere dem Ausfahrenden bei der Annäherung an die Mündungslinie durch ein auf der oberen Neckarspitze befindliches Tanklager die Sicht rheinaufwärts versperrt, so daß er selbst praktisch erst nach der Ausfahrt feststellen kann, ob die Weisung eines Bergfahrers, an der Steuerbordseite vorbeizufahren, für ihn und nicht etwa für ein auf dem Rhein zu Tal kommenden Schiff bestimmt ist. Unter solchen Umständen war die Ausfahrt des TMS L aus dem Neckar aber keinesfalls risikolos. Sie hätte deshalb bis nach dem Passieren des MS J unterbleiben müssen, zumal die vom Berufungsgericht offenbar mit jeweils 10 km/st angenommenen Schiffsgeschwindigkeiten keineswegs gering waren und außerdem damit zu rechnen war, daß das 40 bis 50 m aus dem rechten Ufer fahrende MS J mit Steuerbordkurs weiter vom rechten Ufer abgehen werde, weil dieses oberhalb der Neckarmündung etwa 50 m weiter in den Rhein vorspringt als unterhalb derselben.
Für die Schuldverteilung (vgl. § 92 c BinnSchG), die der Senat selbst vornehmen kann, weil alle insoweit bedeutsamen Tatsachen feststehen, ist einerseits zu beachten, daß TMS L eine unzulässige Ausfahrt vorgenommen hat, und andererseits zu berücksichtigen, daß MS J nach der Ausfahrt des vorgenannten Fahrzugs einen falschen Kurs eingeschlagen hat. Jedoch wiegt das Verschulden der Führung des TMS L schwerer, weil sie durch ihr fehlerhaftes Verhalten die Gefahrenlage geschaffen hat, in der es sodann zu der Fehlreaktion des Beklagten zu 2 gekommen ist.
...“