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U 8/00 B Sch - Oberlandesgericht (Schiffahrtsobergericht)
Date du jugement: 08.06.2001
Numéro de référence: U 8/00 B Sch
Type de décision: Urteil
Language: Allemande
Juridiction: Oberlandesgericht Karlsruhe
Section: Schiffahrtsobergericht

Leitsätze:

1. Kann ein Kläger seinen Anspruch noch nicht oder nicht ohne Durchführung einer aufwendigen Begutachtung beziffern, so ist es zulässig, den Versicherer im Wege der Deckungsfeststellungsklage in Anspruch zu nehmen. Zulässig ist es ferner, neben der Deckungsfeststellungsklage einen Teil der geforderten Versicherungsleistung, der bereits abschließend bezifferbar ist, im Wege der Leistungsklage geltend zu machen.

2. Zur Frage, wann grobe Fahrlässigkeit des Eigners einer in einem Hafen wegen Wassereintritts sinkenden Motoryacht anzunehmen ist.
Grobe Fahrlässigkeit setzt einen besonders schweren Verstoß gegen die objektiv erforderliche Sorgfalt und ein subjektiv unentschuldbares Fehlverhalten voraus. Nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen liegt grobe Fahrlässigkeit dann vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt wurde und auch dasjenige unbeachtet blieb, was im betreffenden Fall jedem hätte einleuchten müssen. Erforderlich ist eine Verletzung von Sorgfaltspflichten, die das gewöhnliche Maß erheblich übersteigt. Die Schadenswahrscheinlichkeit muss offenkundig so groß sein, dass es ohne weiteres nahe lag, zur Vermeidung des Versicherungsfalles ein anderes Verhalten als das tatsächlich Geübte in Betracht zu ziehen.

 

Urteil des Oberlandesgerichts (Schifffahrtsobergerichts) Karlsruhe

vom 8.6.2001

- U 8/00 B Sch - (rechtskräftig)

(Schifffahrtsgericht Mainz)

Zum Tatbestand:

Der Kläger erwarb am 03.08.1997 die gebrauchte Motoryacht „M" in Lavrion/Griechenland zum Preis DM 162.500,00. Das Schiff wurde bei der Beklagten mit einer Wassersport-Kasko-Police versichert, zu der die AVB-Wassersportfahrzeuge (AVBW) 1985 wirksam vereinbart wurden.
Der Kläger führte das Boot am 04.08.1997 von Lavrion nach Patras. Dabei stellte er fest, dass die Maschinen schadhaft waren. Das Boot wurde deshalb am 04.08.1997 in der Marina des Hafens Patras an einen Liegeplatz gelegt.
Im Zuge eines Rechtsstreits mit dem Verkäufer des Schiffes erging am 06.02.1998 ein Beschluss des Landgerichts Tübingen, durch den die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens angeordnet wurde. Am 08. und 09.06.1998 fand ein Ortstermin in Patras statt, bei dem das Boot durch den Zeugen R. als Sachverständiger begutachtet wurde. An diesem Termin nahmen sowohl der Kläger als auch dessen Prozessbevollmächtigter Rechtsanwalt G teil. Es wurde unter anderem der Motor des Schiffes geöffnet.
Am 28.10.1998 sank das Boot auf den Grund des Hafens. Es wurde in den Folgetagen mit einem Schwimmkran gehoben. Die Bergungskosten und der dem Kläger durch das Sinken des Schiffes entstandene Schaden sind Gegenstand der Deckungs- und Zahlungsklage.
Der Kläger hat im ersten Rechtszug im wesentlichen vorgetragen: Das Boot sei an dem Liegeplatz ordnungsgemäß befestigt und an Landstrom angeschlossen gewesen, so dass die automatischen Lenzpumpen, von denen sich vier auf dem Boot befanden, in der eingeschalteten Automatikstellung in der Lage gewesen seien, eventuell eindringendes Wasser nach außenbords zu pumpen. Es sei außerdem ein Bediensteter des Hafens zur Überwachung des Schiffes beauftragt worden. Dieser habe auch für die Überwachungstätigkeit einen Lohn erhalten; dass diese Maßnahmen ausreichend gewesen seien, zeige sich darin, dass bis zu dem Zeitpunkt der Begutachtung am 09.06.1998 keinerlei Wassereinbruch zu verzeichnen gewesen sei.
Die Ansprüche müssten teilweise im Wege der Feststellungsklage verfolgt werden. Das Schiff befinde sich nach wie vor in Patras. Die Firma N. mache Ansprüche wegen der Bergung und der damit verbundenen Folgeosten geltend, zu deren Bezifferung der Kläger sich noch nicht in der Lage sehe, weil der Rechtsstreit noch nicht entschieden sei. Der Beklagte hat im ersten Rechtszug im wesentlichen vorgetragen: Der Kläger habe das Sinken des Bootes in grob fahrlässiger Weise selbst herbeigeführt, so dass die Beklagte gemäß § 8 AVBW von der Verpflichtung zur Leistung frei sei. Die grobe Fahrlässigkeit des Klägers bestehe darin, dass er zunächst das Schiff im Hafen von Patras ohne ausreichende Beaufsichtigung stillgelegt habe. Der vom Kläger angeblich beauftragte Bedienstete des Hafens habe weder deutsch noch englisch gesprochen und sei deshalb für eine verantwortliche Beaufsichtigung des Schiffes von vornherein nicht geeignet gewesen. Es sei zudem die Stromversorgung des Schiffes nicht gesichert gewesen, so dass auch eingeschaltete Pumpen auf die Dauer nach Erschöpfen der Batterien des Schiffes ihren Dienst hätten einstellen müssen. Die Lenzpumpen des Schiffes seien zudem nicht funktionsfähig gewesen, da sie nicht eingeschaltet gewesen seien.

Das Schiff sei gesunken, da anlässlich der Begutachtung durch den sachverständigen Zeugen R. der Ventildeckel des Backbord-Motors geöffnet worden sei; an diesem Ventildeckel habe sich ein Entlüftungsschlauch befunden, der in Höhe des Auspuffes durch die Bordwand des Schiffes nach außen geführt worden sei. Dieser Schlauch sei nach dem Öffnen des Motors auf dem Boden des Maschinenraums liegen geblieben und habe somit eine Öffnung des Schiffes nach außen zum Wasser dargestellt. Nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren sei zunächst über einen längeren Zeitraum stetig eine geringe Menge Wasser in den Maschinenraum des Schiffes gelangt, der zu einem stetigen Tieferliegen des Achterschiffs geführt habe. Beim zwangsläufigen immer tieferen Eintauchen des Schiffes in das Wasser sei schließlich der Zeitpunkt gekommen, in dem das Wasser durch den Schlauch mit vollem Strahl in das Schiff geströmt sei und so den eigentlichen Sinkvorgang bewirkt habe. Das Liegenlassen des Schiffes mit einer Öffnung des Innenraums zum Wasser hin stelle einen Kardinalfehler und damit eine grobe Fahrlässigkeit des Schiffsführers und Schiffseigners dar. Das Schifffahrtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

„1. Die Feststellungsklage ist zulässig.

Ist Klage auf Leistung möglich und zumutbar, fehlt regelmäßig das Feststellungsinteresse. Kann ein Kläger jedoch - wie vorliegend - seinen Anspruch auf Schadensersatz noch nicht oder nicht ohne Durchführung einer aufwendigen Begutachtung beziffern (vgl. dazu BGH NJW 2000, 1256 f.), so ist es zulässig, den Versicherer im Wege der Deckungsfeststellungsklage in Anspruch zu nehmen. Der Kläger hat - unwiderlegt - vorgetragen, dass die Folgekosten der Hebung des Schiffes (deren Ersatz er unter anderem von der Beklagten fordert, nachdem diese eine Freistellung ablehnt) noch immer nicht abschließend geklärt sind, sondern dass insoweit noch Rechtsstreite in Griechenland anhängig sind.
Zulässig ist es ferner, neben der Deckungsfeststellungsklage einen Teil der geforderten Versicherungsleistung, der bereits abschließend bezifferbar ist, im Wege der Leistungsklage geltend zu machen.

2. Sowohl die Feststellungs- als auch die Leistungsklage sind begründet. Der beklagte Versicherer ist nicht gemäß Nr. 8 AVBW  von der Verpflichtung zur Leistung frei.
Nr. 8 AVB lautet:

„Verschulden des Versicherungsnehmers

Führt der Versicherungsnehmer, der Fahrzeugführer oder einer der Insassen den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig herbei oder macht sich der Versicherungsnehmer bei den Verhandlungen über die Ermittlung der Entschädigung einer arglistigen Täuschung schuldig, so ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei."
Grobe Fahrlässigkeit setzt einen besonders schweren Verstoß gegen die objektiv erforderliche Sorgfalt und ein subjektiv unentschuldbares Fehlverhalten voraus. Nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen liegt grobe Fahrlässigkeit dann vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt wurde und auch dasjenige unbeachtet blieb, was im betreffenden Fall jedem hätte einleuchten müssen. Erforderlich ist eine Verletzung von Sorgfaltspflichten, die das gewöhnliche Maß erheblich übersteigt. Die Schadenswahrscheinlichkeit muss offenkundig so groß sein, dass es ohne weiteres nahe lag, zur Vermeidung des Versicherungsfalles ein anderes Verhalten als das tatsächlich Geübte in Betracht zu ziehen (ständige Rechtsprechung, vgl. OLG Karlsruhe VersR 1992, 1507 m.w.N.). Der Eigner einer Motoryacht kann grob fahrlässig handeln, wenn er das Fahrzeug längere Zeit mit offenen Seeventilen und ohne Überwachung liegen lässt (BGH VersR 1979,932).
Das Berufungsgericht teilt die Überzeugung des Schifffahrtsgerichts, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vieles dafür spricht, dass das Sinken des Bootes durch Einströmen von Wasser durch den lose im Maschinenraum hängenden Schlauch der Kurbelgehäuseentlüftung verursacht wurde. Nach der Aussage des Zeugen V. gelang es erst, nachdem dieser Schlauch hochgebunden und abgedichtet worden war, das Boot leer zu pumpen. Eine andere plausible Ursache für das Sinken vermochte der Kläger auch im zweiten Rechtszug konkret nicht vorzutragen. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme spricht ferner einiges dafür, dass anlässlich der Besichtigung und Begutachtung des Bootes durch den sachverständigen Zeugen R. am 08. und 09. Juni 1998 es versäumt wurde, den Entlüftungsschlauch wieder ordnungsgemäß zu befestigen, so dass er lose in der Bilge lag. Der Kläger handelte als Schiffsführer und Schiffseigner fahrlässig, als er vor Verlassen des Schiffes nicht eine vollständige Überprüfung der Dichtigkeit des Bootes vornahm und dem lose in der Bilge liegenden Schlauch nicht die notwendige Aufmerksamkeit widmete. Das Gericht erachtet diese Fahrlässigkeit jedoch nicht als grob im Sinne der oben dargestellten, in ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte formulierten Anforderungen. Es wurde die erforderlich Sorgfalt nicht in ungewöhnlich großem Maße verletzt und es blieb nicht auch dasjenige unbeachtet, was im betreffenden Fall jedem hätte einleuchten müssen. Eine Verletzung von Sorgfaltspflichten, die das gewöhnliche Maß erheblich übersteigt, liegt nicht vor. Die Schadenswahrscheinlichkeit war nicht so offenkundig groß, dass es ohne weiteres nahe lag, zur Vermeidung des Versicherungsfalls ein anderes Verhalten als das tatsächlich Geübte in Betracht zu ziehen. Dabei entlastet den Kläger unter anderem - wenn auch nur geringfügig -, dass der sachverständige Zeuge R., der die Untersuchungsarbeiten an Bord zwar nicht selbst ausführte, sondern durch Rechtsanwalt G. und den Kläger durchführen ließ, selbst nicht etwa nach Abschluss der Arbeiten auf die Gefahr hinwies, zu der der nicht ordnungsgemäß montierte Schlauch führen konnte.
Dem Kläger kann nicht zum Vorwurf gemacht werden, das stillgelegte Schiff nicht überwacht zu haben. Auch wenn er nicht die teurere und sicherlich gründlichere Überwachung durch den Zeugen V. veranlasste, sondern lediglich eine solche durch den Hafenbediensteten A., kann dies nicht als grob fahrlässiges Verhalten bewertet werden, das für das Sinken des Boden ursächlich geworden wäre. Etwa drei Monate nach der Begutachtung vom Juni 1998 kam der Kläger nochmals in Begleitung seiner Ehefrau zur Motoryacht. Bei dieser Besichtigung haben der Kläger und seine Ehefrau, die Zeugin R., nach deren Bekunden alles noch so vorgefunden, wie sie es am 08. und 09.06.1998 verlassen hatten. Bei dieser Gelegenheit hatten sie nochmals den Hafenbediensteten A. beauftragt, regelmäßig an Bord zu gehen, die Batterien zu überprüfen und den Generator laufen zu lassen, um die Sicherheit des Schiffes zu gewährleisten. Anhaltspunkte für eine Undichtigkeit des Schiffs im Hinblick auf den am Boden der Bilge liegenden Schlauch ergaben sich zu diesem Zeitpunkt nicht. Jedenfalls einige der Lenzpumpen waren funktionstüchtig. Da bis zu diesem Zeitpunkt kein Wasser eingetreten war, ergaben sich keine dem Kläger sich aufdrängenden Anhaltspunkte für eine höhere Gefahr des Wassereintritts und damit zu weiterer Schadensvorsorge. Die Seeventile waren geschlossen, die Stopfbuchsen durchgesetzt. Ein den Vorwurf grober Fahrlässigkeit rechtfertigender Verstoß gegen „Kardinalspflichten" eines Motorbooteigners liegt danach nicht vor. 3. Die Höhe der bezifferten Forderung ist durch die nicht substantiiert bestrittene Rechnung der Firma N. nachgewiesen...."

Ebenfalls abrufbar unter ZfB 2002 - Nr.2 (Sammlung Seite 1853 f.)